Sexuelle Übergriffe

Definiere „sexueller Übergriff“
Arbeitgeber müssen das Risiko sexueller Belästigungen im Blick haben. Nicht nur aus juristischen Gründen: Es gehört zum Anspruch eines fairen Arbeitgebers, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nach Möglichkeit vor Übergriffen zu schützen. Trotzdem sollte man auch die einschlägige Rechtslage kennen. Wir geben einen kurzen Überblick.
Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) gibt jedem Beschäftigten das Recht, sich gegen eine sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz zu wehren. Oft führt das jedoch zu Streit darüber, ob ein bestimmtes Verhalten ein sexueller Übergriff war oder nicht.
Die gesetzliche Definition steht in § 3 Abs. 4 AGG:
„Eine sexuelle Belästigung […] ist ein unerwünschtes, sexuell bestimmtes Verhalten, wozu auch unerwünschte sexuelle Handlungen und Aufforderungen zu diesen, sexuell bestimmte körperliche Berührungen, Bemerkungen sexuellen Inhalts sowie unerwünschtes Zeigen und sichtbares Anbringen von pornografischen Darstellungen gehören, [das] bezweckt oder bewirkt, dass die Würde der betreffenden Person verletzt wird, insbesondere wenn ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird.“
Frei übersetzt heißt das:
Ein sexueller Übergriff ist jede unerwünschte sexualisierte und geschlechtsbezogene Verhaltensweise, das umfasst also körperliche Berührungen ebenso wie verbale Anspielungen oder das Verschicken pornographischer Bilder.
In jedem Fall handelt es sich um „unerwünschtes, sexuell bestimmtes Verhalten“, wenn jemand unter Druck gesetzt wird, bestimmte sexuelle Handlungen zu tolerieren oder zu erwidern.
Ausschlaggebend ist im Zweifel, ob die belästigte Person die Handlung oder Verbalattacke als erniedrigend oder beschämend empfindet.
Ob der Täter die Absicht hatte, die betreffende Person in ihrer Würde zu verletzen, ist dagegen nicht entscheidend.
Der Arbeitgeber in der Zwickmühle
Hat eine sexuelle Belästigung stattgefunden oder nicht? Diese Frage ist zentral, auch für den Arbeitgeber:
Einerseits muss der Arbeitgeber ganz klar die von einem Mitarbeiter oder einer Mitarbeiterin vorgetragene Beschwerde ernst nehmen und alles Mögliche tun, um Belästigungen zu stoppen. Sonst kann das Opfer Schadenersatz fordern, beispielsweise für die Kosten therapeutischer Behandlung, aber auch für immaterielle Schäden. (Dazu mehr im Beitrag „Schadenersatz für Benachteiligung als Arbeitnehmer: Und die Lohnsteuer?“)
Auf der anderen Seite muss der Arbeitgeber sehr sorgfältig prüfen, ob die Anschuldigungen zutreffen. Ergreift er unangebrachte oder unverhältnismäßige Maßnahmen, macht er sich gegenüber dem beschuldigten Arbeitnehmer schadenersatzpflichtig.
Als härteste Maßnahme steht eine Kündigung im Raum, wenn ein Arbeitnehmer sexuelle Belästigungen begangen hat. Eine Abmahnung wäre das mildeste Mittel.
Belästigungen in der Praxis
Im Arbeitsalltag kann sexuelle Belästigung viele verschiedene Formen annehmen: Worte, E-Mails, handfeste Übergriffe. Entscheidendes Merkmal ist allen Fällen, dass das jeweilige Verhalten unerwünscht ist:
Flirten am Arbeitsplatz ist nicht verboten. Unerwünschte Belästigung dagegen sehr wohl. Sobald jemand deutlich Desinteresse signalisiert hat, wird schnell die Grenze zur sexuellen Belästigung überschritten.
Gleiches gilt für das Übersenden von E-Mails, SMS oder Fotos mit einem sexuellen Bezug.
Wer sich über die Kleidung der Kollegin oder ihr vermutetes Privatleben auslässt, begeht damit eine Form sexueller Belästigung.
Das gleiche Prinzip gilt für physische Berührungen oder das Nichteinhalten des sozialen Abstands. Es kommt nicht darauf an, wie das Tätscheln oder Umarmen gemeint war.
Unzweideutig ist der Fall, wenn für sexuelles Entgegenkommen Protektion oder eine Gehaltserhöhung in Aussicht gestellt, andernfalls mit beruflichen Nachteilen gedroht wird.
„Objektiv unerwünscht“
Der Knackpunkt im konkreten Einzelfall: Das Verhalten ist objektiv erkennbar unerwünscht und verletzt deshalb die Menschenwürde. So hat es das Bundesarbeitsgericht vor einigen Jahren herausgearbeitet.
In dem Fall hatte ein Produktmanager einer jungen Einkaufsassistentin gegenüber eindeutige Bemerkungen gemacht. Er stellte dies später als „Neckereien“ hin. Jahre zuvor war er bereits aufgefallen, weil er einer anderen Kollegin auf den Hintern gehauen hatte. Sein Arbeitgeber nahm die Beschwerde der jungen Kollegin zum Anlass für eine fristlose Kündigung. Zu Recht, wie die Richter befanden.
Zwei Kernsätze aus der Urteilsbegründung lauten: „Maßgeblich ist allein, ob die Unerwünschtheit der Verhaltensweise objektiv erkennbar war“ und „Unmaßgeblich ist, wie er selbst sein Verhalten eingeschätzt und empfunden hat oder verstanden wissen wollte.“ (BAG, Urteil vom 09.06.2011 – 2 AZR 323/10).
Weitere arbeitsrechtliche Gesichtspunkte
Wer von sexueller Belästigung betroffen ist, hat ein Beschwerderecht (§ 13 AGG). Der Arbeitgeber muss eine entsprechende Beschwerdestelle einrichten und diese im Betrieb bekannt machen, etwa einen Vorgesetzten, die Gleichstellungsbeauftragte oder eine eigens eingerichtete betriebliche Beschwerdestelle. Betroffene können sich alternativ auch an den Betriebsrat wenden. Unabhängig davon, ob an der Beschwerde etwas dran ist, darf sie nicht zu beruflichen Nachteilen führen.Bleibt der Arbeitgeber untätig oder sind seine Maßnahmen nicht dazu geeignet, die Belästigung zu beenden, dann dürfen betroffene Arbeitnehmer als letztes Mittel sogar der Arbeit fernbleiben. Anspruch auf ihr Gehalt haben sie dennoch.Belästigungen sind nicht nur am Arbeitsplatz selbst untersagt. Der Arbeitgeber muss auch gegen Übergriffe bei Firmenfeiern, auf Geschäftsreisen und ähnlichen Anlässen vorgehen. Dort ist die Gefahr oft besonders hoch.Ist ein Ausbilder der Täter, droht dem Betreffenden eine Aberkennung der Ausbildungseignung.
Ursachen
In der überwiegenden Zahl der Fälle sind Frauen die Opfer von sexuellen Belästigungen am Arbeitsplatz und Männer die Täter. Aber es gibt auch Fälle, in denen Männer zum Opfer werden. Häufig betroffen sind generell Transsexuelle, Homosexuelle oder Menschen mit Behinderungen.
Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz ist eine Form von Machtausübung: Es geht darum, durch die Belästigung Untergebene klein zu halten, Konkurrenz auszuschalten oder die Autorität von Vorgesetzten infrage zu stellen.
Deshalb ist eine der wichtigsten Vorkehrungen gegen solches Verhalten eine zeitgemäße Unternehmenskultur: flache Hierarchien, Transparenz und mündige Arbeitnehmer, die frei reden können. Das sorgt nicht nur gegen mögliche Schadenersatzklagen vor. Es bringt auch motivierte Mitarbeiter und ein produktives Betriebsklima.
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