Kurzarbeitergeld: Arbeitgebern droht Schadenersatz bei Ansatz der vertraglichen Arbeitszeit

Den Anspruch auf Kurzarbeitergeld haben rechtlich betrachtet die Mitarbeiter, nicht der Arbeitgeber. Der ist allerdings für das Beantragen und das Berechnen von „Kug“ zuständig. Bei Fehlern drohen ihm Schadenersatzklagen. Ein häufiger Stolperstein sind die beim Soll-Entgelt angesetzten Arbeitsstunden: sie dürfen nicht einfach aus dem Arbeitsvertrag übernommen werden.

Den Anspruch auf Kurzarbeitergeld haben rechtlich betrachtet die Mitarbeiter, nicht der Arbeitgeber. Der ist allerdings für das Beantragen und das Berechnen von „Kug“ zuständig. Bei Fehlern drohen ihm Schadenersatzklagen. Ein häufiger Stolperstein sind die beim Soll-Entgelt angesetzten Arbeitsstunden: sie dürfen nicht einfach aus dem Arbeitsvertrag übernommen werden.

 

Kurzarbeit: Erfolgsmodell mit Tücken

Gerät ein Unternehmen in eine Auftragsflaute oder in akute Nachschubprobleme, trägt Kurzarbeit als Arbeitsmarktinstrument zum Erhalt der Arbeitsplätze bei. Der Arbeitgeber zeigt den Arbeitsausfall bei der Bundesagentur für Arbeit an und berechnet monatlich das Kurzarbeitergeld, das die Mitarbeiter für die ausgefallene Arbeitszeit erhalten. Dann zahlt er es aus und beantragt bei der Arbeitsagentur anschließend die Erstattung.

Insgesamt ist das Verfahren ein Erfolgsmodell. Doch wie so oft steckt der Teufel auch hier im Detail.

 

Kurzarbeitergeld ist ein Anspruch des Arbeitnehmers – der Arbeitgeber haftet

Rechtlich gesehen ist der Arbeitgeber bei Kurzarbeit in einer delikaten Situation: Den Anspruch auf die Leistung haben die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Zuständig für Beantragung, Berechnung und Auszahlung der Leistung ist jedoch der Arbeitgeber. Unterlaufen ihm dabei Fehler, haftet er. Auch Versäumnisse wie ein unterlassener Einspruch gegen fehlerhafte Bescheide der Arbeitsagentur sollte er vermeiden.

Arbeitnehmer, die durch Irrtümer und Versehen des Arbeitgeber weniger oder kein Kurzarbeitergeld erhalten, können von ihm Schadenersatz fordern. Da sie selbst nicht in das Verfahren zur Kurzarbeit eingebunden sind, ihre Ansprüche gegenüber der Arbeitsagentur nicht geltend machen können und keinen Einblick in deren Bescheide erhalten, müssen die Arbeitgeber die Interessen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in vollem Umfang wahrnehmen. Dies stellt eine arbeitsvertragliche Nebenpflicht dar, für deren Erfüllung die Arbeitgeber haften.

Das ist keineswegs nur Theorie. Entsprechende Schadenersatzklagen gegen Arbeitgeber haben immer wieder Erfolg. Eines der möglichen Probleme besteht im korrekten Ansetzen der Arbeitsstunden, die in das Soll-Entgelt und damit in die Bemessungsgrundlage für das individuelle Kurzarbeitergeld einfließen. Zwei Landesarbeitsgerichte haben in letzter Zeit Unternehmen wegen zu niedrig angesetzter Arbeitsstunden zu Schadenersatz an ihre Mitarbeiter verurteilt.

 

Das Soll-Entgelt bestimmt die Höhe des Kurzarbeitergelds

Die Höhe des Kurzarbeitergelds richtet sich nach der Differenz aus dem Soll-Entgelt, das normalerweise erzielt worden wäre, und dem Ist-Entgelt, das aufgrund des Arbeitsausfalls für die verbliebene Arbeitszeit anfällt.

  • Dabei entspricht das Soll-Entgelt dem, was „die Arbeitnehmerin oder der Arbeitnehmer ohne den Arbeitsausfall in dem Anspruchszeitraum erzielt hätte, vermindert um Entgelt für Mehrarbeit“ ( 106 Abs. 1 SGB III).
  • Lässt sich „das Soll-Entgelt einer Arbeitnehmerin oder eines Arbeitnehmers in dem Anspruchszeitraum nicht hinreichend bestimmt feststellen, ist als Soll-Entgelt das Arbeitsentgelt maßgebend, das die Arbeitnehmerin oder der Arbeitnehmer in den letzten drei abgerechneten Kalendermonaten vor Beginn des Arbeitsausfalls in dem Betrieb durchschnittlich erzielt hat“ ( 106 Abs. 4 SGB III).

Etwas einfacher ausgedrückt: Ausschlaggebend als Soll-Entgelt ist der reguläre Lohn oder das reguläre Entgelt. Schwankt es von Monat zu Monat, wird das zugrunde gelegt, was die Mitarbeiterin oder der Mitarbeiter in den letzten drei Monaten vor der Kurzarbeit verdient hat. In beiden Fällen werden Überstunden und Einmalzahlungen nicht berücksichtigt.

 

Wie hoch liegt das Soll-Entgelt, wenn regelmäßig mehr gearbeitet wird als im Arbeitsvertrag vereinbart?

Arbeitgeber begehen leicht den Fehler, dem Soll-Entgelt einfach die im Arbeitsvertrag genannten Arbeitsstunden beziehungsweise eine dort festgelegte Mindest-Stundenzahl zugrunde zu legen.

Das erscheint zwar zunächst als der reguläre Weg zur Bestimmung des Soll-Entgelts. Schließlich soll „Mehrarbeit“ dafür laut Gesetz ausdrücklich nicht berücksichtigt werden. Mehrarbeit darf im Zusammenhang mit der Ermittlung des Soll-Entgelts nicht mit Arbeitsstunden verwechselt werden, für die Überstundenzuschläge bezahlt werden.

Die Arbeitsagentur definiert Mehrarbeit als "alle Entgelte, bei denen eine Arbeitsleistung über die regelmäßige betriebsübliche Arbeitszeit (Überstunden) abgegolten wird“ (Hinweise zum Antragsverfahren, S. 11). Und in zwei neueren Gerichtsentscheidungen haben Landesarbeitsgerichte bekräftigt, dass auch eine vertraglich festgelegte Grenze von Arbeitsstunden nicht allein als Kriterium für „Mehrarbeit“ im Sinne des Soll-Entgelts bei Kurzarbeit taugt. Entscheidend ist also, wie viel der oder die Betreffende in der Praxis regelmäßig arbeitet.

 

Fall 1: Ab wann es Überstundenzuschlag gibt, hängt vom Einstellungsdatum ab

Im ersten der erwähnten Fälle sprach das Landesarbeitsgericht Hamm einer Kassenkraft Schadenersatz zu. Ihr Arbeitgeber hatte für sie nach Ansicht der Richter das Kurzarbeitergeld zu gering beantragt. Die Frau war schon seit mehr als 20 Jahren im Unternehmen und hatte einen Arbeitsvertrag, der 86 Stunden als monatliche Arbeitszeit festlegte. Arbeitete sie länger, was regelmäßig geschah, erhielt sie für diese Stunden einen Mehrarbeitszuschlag von 25 Prozent. Ihre Kolleginnen erhielten den gleichen Zuschlag erst, wenn sie mehr als 173 Stunden im Monat arbeiteten, denn diese Grenze war 2001 in einem Haustarifvertrag festgelegt worden.

Dieser Unterschied wurde virulent, als der Betrieb aufgrund der Pandemie im März 2020 Kurzarbeit Null einführte. Für die seit Langem im Unternehmen tätige Arbeitnehmerin berechnete der Arbeitgeber das Kurzarbeitergeld auf Grundlage der vertraglich festgelegten 86 Arbeitsstunden. Für ihre Kolleginnen, die nach Inkrafttreten des Haustarifvertrags eingestellt worden waren, wurde das Soll-Entgelt auf Basis der letzten drei Monatsgehälter ermittelt.

Dagegen klagte die Angestellte mit Hilfe ihrer Gewerkschaft. Mit Erfolg: Ihr wurden fast 6.500 Euro an Schadenersatz zugesprochen. Das Landesarbeitsgericht Hamm entschied, dass der Arbeitgeber auch bei ihr die tatsächlichen Arbeitszeiten der letzten drei Monate hätte zugrunde legen müssen, nicht die im Arbeitsvertrag genannten 86 Monatsstunden: „im Rahmen des § 106 SGB III 1st nicht der im Arbeitsvertrag schriftlich fixierte Umfang der Arbeitszeit, sondern die tatsächliche Arbeitszeit maßgeblich, die regelmäßig geleistet worden ist“, so die Urteilsbegründung wörtlich (LAG Hamm, 12.10.2022 - 2 Sa 184/21).

Allerdings ist die Entscheidung noch nicht rechtskräftig: der Arbeitgeber hat Revision vor dem Bundesarbeitsgericht eingelegt.

 

Fall 2: Mindeststunden sind nicht ausschlaggebend, wenn regelmäßig mehr gearbeitet wird

Ein Berliner Kino hatte einen Arbeitnehmer in Teilzeit eingestellt, zunächst ohne genaue Fixierung der Arbeitszeit. Eine spätere Zusatzvereinbarung legte eine Mindestzahl von 100 Arbeitsstunden pro Monat fest. Die tatsächliche Arbeitszeit des Mitarbeiters lag regelmäßig deutlich über den vereinbarten 100 Stunden. Für die darüber liegenden Stunden bezahlt der Arbeitgeber Überstundenzuschläge in Höhe von 25 Prozent.

Als das Kino im März 2020 aufgrund der Pandemie Kurzarbeit Null einführte, berechnete es das Soll-Entgelt des Mannes auf Grundlage der vereinbarten Mindestzahl von 100 Arbeitsstunden. Der Mann wollte stattdessen die tatsächlich geleisteten Arbeitszeiten berücksichtigt sehen, und klagte auf Schadenersatz. Hinzu kam, dass der Arbeitgeber in einer Betriebsvereinbarung die Aufstockung des Kurzarbeitergelds auf 90 Prozent des Soll-Entgelts zugesichert hatte. So ergab sich ein strittiger Betrag von etwas mehr als 2.000 Euro.

Dieses Geld bekam der Arbeitnehmer vom Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg zugesprochen. Da im Vertrag nur eine Mindeststundenzahl vereinbart sei, und dies in der Vertragspraxis nicht die regelmäßig praktizierte Arbeitszeit gewesen sei, hätte auch in diesem Fall das Soll-Entgelt anhand der letzten drei abgerechneten Monate vor der Kurzarbeit ermittelt werden müssen. Weil dies nicht geschehen war, stand dem Mitarbeiter Schadenersatz zu.

Vereinbaren die Parteien eine Teilzeitbeschäftigung mit einer Mindeststundenanzahl, ohne dass aus den weiteren Umständen, etwa der Vertragspraxis, auf einen regelmäßigen Umfang der gewöhnlichen Arbeitszeit geschlossen werden kann, so ist das Soll-Entgelt in Anwendung von § 106 Abs. 4 SGB III aus dem Durchschnitt der letzten drei Kalendermonate vor Beginn des Arbeitsausfalls zu errechnen.“, heißt es im Leitsatz des Urteils (LAG Berlin-Brandenburg, 26.08.2022 - 12 Sa 297/22).

Auch in diesem Fall versuchte die Arbeitgeberseite, die Entscheidung vom Bundesarbeitsgericht in Erfurt in der Revision überprüfen zu lassen. Das verwarf jedoch die Nichtzulassungsbeschwerde ohne weitere Begründung: ein klares Anzeichen dafür, dass das oberste deutsche Arbeitsgericht an der Urteilsbegründung nichts auszusetzen fand.

 

Arbeitgeber müssen beim Antrag auf Kurzarbeit sorgfältig vorgehen

Arbeitgeber tun gut daran, beim Berechnen des individuelle Kurzarbeitergelds sorgfältig vorzugehen. Dabei genügt es nicht, nur auf die arbeits- und tarifvertraglichen Regelungen zu achten. Bei Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die regelmäßig mehr als die vertraglich vereinbarten Stunden leisten, muss das Soll-Entgelt in vielen Fällen als Durchschnitt des Lohns oder Gehalts aus den letzten drei Monaten vor Einführung von Kurzarbeit berechnet werden.

Natürlich kann es umgekehrt auch keine Lösung sein, das Soll-Entgelt in allen Fällen möglichst großzügig anzusetzen. Wurde ausnahmsweise in den drei Monaten vor der Kurzarbeit besonders viel gearbeitet, während es sonst eine feste Regelarbeitszeit gibt, darf die Mehrarbeit nicht berücksichtigt werden. Ansonsten drohen dem Arbeitgeber Rückzahlungsforderungen durch die Arbeitsagentur. Außerdem erhöhen sich mit dem ausgezahlten Kurzarbeitergeld die darauf anfallenden Sozialversicherungsbeiträge. Diese muss der Arbeitgeber seit dem Auslaufen der diesbezüglichen Corona-Sonderregelungen zum 31. März 2022 nun wieder selbst und komplett übernehmen.

Um spätere Schadenersatzforderungen zu vermeiden, können Arbeitgeber mit Mitarbeitern eine Vereinbarung über die beim Soll-Entgelt anzusetzende Zahl der Arbeitsstunden treffen. Außerdem kann die Arbeitsagentur in die Klärung von Zweifelsfällen einbezogen werden. Beides zusammen gibt dem Unternehmen, das gegenüber der Arbeitsagentur als Treuhänder des Arbeitnehmers agiert, ein gewisses Maß an Rechtssicherheit in Bezug auf die Höhe der beantragten Leistung.

 

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