17 Jun 2021

Arbeitszeiterfassung in Home Office Zeiten

Home Office gehört mittlerweile zum Arbeitsalltag vieler Arbeitnehmer in Deutschland dazu. Zahlreiche Betriebe wurden im Zuge der Corona-Pandemie kurzfristig damit konfrontiert, dass Mitarbeiter von zuhause aus arbeiten.

Eine optimale Zeiterfassung gestaltete sich in diesem Zusammenhang als schwierig. Dennoch sprechen juristische Aspekte für eine Arbeitszeiterfassung - jeder Arbeitnehmer sollte die Möglichkeit zur Erfassung der Arbeitszeiten haben.

 

Nach einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshof 2019 erwarteten viele Beobachter in Deutschland Gesetzesänderungen mit klaren, allgemeinen Regelungen zur Arbeitszeiterfassung. Die blieben allerdings bisher aus. Stattdessen werden entscheidende Fragen unter Juristen diskutiert und vor Arbeitsgerichten verhandelt. Sind Arbeitgeber nach der EuGH-Entscheidung direkt zur Arbeitszeiterfassung verpflichtet? Viele Arbeitsrechtler gehen davon aus. Kann das Fehlen solcher Aufzeichnungen im Streit um Entgeltforderungen vor dem Arbeitsgericht zur Beweislastumkehr führen? Dazu hat das Bundesarbeitsgericht noch nicht Stellung bezogen.

Trotzdem haben Arbeitgeber guten Grund, nicht einfach abzuwarten. Weiter auf Vertrauensarbeitszeit ohne Zeiterfassung zu setzen, ist zumindest riskant. Es gibt auch in der Praxis kaum Gegenargumente: Funktionierende Systeme zum Erfassen der Arbeitszeiten lassen sich leicht installieren. Ihre Nutzung stellt keinen Rückfall in die Zeit der starren Arbeitszeiten dar. Solche Systeme können von den Mitarbeitern in Eigenregie bedient werden oder Arbeitszeiten sogar automatisch erfassen. Wichtig ist, dass sie auch mit flexibleren Gegebenheiten wie Home-Office-Arbeit oder mobilen Einsätzen fertig werden.

 

Zeiterfassung im Home Office

Noch immer halten viele Unternehmen an Vertrauensarbeitszeiten fest. Das gilt besonders für kleinere Betriebe, die ihren Mitarbeitern besonders flexible Bedingungen ermöglichen wollen und schon vor Corona Home Office ermöglicht haben. Andere Unternehmen wurden unvorbereitet davon getroffen, dass Arbeitnehmer plötzlich von zuhause aus arbeiteten. Dort ging es zunächst darum, Grundlagen wie den Fernzugriff aufs Firmennetzwerk oder reibungslose Video-Meetings sicherzustellen.

Doch spätestens jetzt sollte Zeiterfassung überall zum Alltag gehören, auch im Home Office. Gerade dort kommt es besonders leicht zur Durchmischung von Privat- und Arbeitszeiten. Wenn der Job unbegrenzt und unkontrolliert den gesamten Tagesablauf überwuchert, untergräbt das auf Dauer die Leistungsfähigkeit der Mitarbeiter. Ohne Zeiterfassung bekommt der Arbeitgeber das nicht einmal mit. Damit ist niemand gedient. Dazu kommt die arbeitsrechtliche Seite.

 

Das EuGH-Urteil

Im Jahr 2019 entschied der Europäische Gerichtshof, dass Arbeitgeber eine unionsrechtliche Pflicht zur Erfassung von Arbeitszeiten haben, die sich aus EU-Grundrechte-Charta ergibt (EuGH, 14.05.2019 - C-55/18). Diese sichert Arbeitnehmern in der EU das Recht auf „eine Begrenzung der Höchstarbeitszeit“ sowie „ auf tägliche und wöchentliche Ruhezeiten“ zu (Art. 31 GRCh).

Die Klage hatte eine spanische Gewerkschaft eingebracht. Die Richter verpflichteten die Mitgliedsstaaten auf ein „objektives, verlässliches und zugängliches“ System zur Arbeitszeiterfassung. So wurde das Urteil zumindest seinerzeit mehrheitlich verstanden. Viele Beobachter erwarteten eine entsprechende Erweiterung des deutschen Arbeitszeitgesetzes um eine allgemeine Arbeitszeiterfassungspflicht mit klaren Vorgaben. Bisher vergeblich.

Daran wird sich vor den Wahlen nichts mehr ändern. Weder das Bundesarbeits- noch das Bundeswirtschaftsministerium sehen einem Tagesspiegel-Bericht zufolge Anlass zur Änderung der deutschen Rechtslage.

Eine gesetzliche Regelung der Anforderungen an die Zeiterfassung würde klare Verhältnisse schaffen. Allerdings ergibt sich die Zeiterfassungspflicht nach Ansicht vieler Arbeitsrechtler ohnehin direkt aus der Grundrechte-Charta.

 

Keine Zeiterfassung – schlechtere Karten vor dem Arbeitsgericht?

Seit der EuGH-Entscheidung ging das Arbeitsgericht Emden mehrfach von einer solchen direkten Verpflichtung der Arbeitgeber zur Zeiterfassung aus. Deshalb sah es im Streit über Vergütungen eine Umkehrung der Beweislast bezüglich geleisteter Arbeitszeiten (ArbG Emden, 20.02.2020 - 2 Ca 94/19, 24.09.20202 - Ca 144/20 sowie 09.11.2020 - 2 Ca 399/18).

Sowohl das Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz (19.02.2021 – 8 Sa 169/20) wie das Landesarbeitsgericht Niedersachsen (06.05.2021 - 5 Sa 1292/20) traten dem entgegen. Nach Ansicht des LAG Niedersachsen hat das EuGH-Urteil „keine Aussagekraft für die Darlegungs- und Beweislast im Überstundenprozess“, da der EuGH „keine Kompetenz zur Entscheidung über Fragen der Vergütung“ habe. Ob und wie das Bundesarbeitsgericht dazu Stellung nimmt, bleibt abzuwarten.

 

Fazit

Sowohl juristischen Aspekte wie praktische Erwägungen sprechen klar pro Arbeitszeiterfassung. Für Arbeitnehmer sollte es stets und überall die Möglichkeit und die Anweisung zur Erfassung ihrer Arbeitszeiten geben, auch im Home Office, bei der Arbeit auf wechselnden Baustellen oder beim Einsatz vor Ort bei den Kunden.

Rechtlich gesehen ist der Arbeitgeber auf der sicheren Seite, wenn Arbeitsbeginn, Arbeitsende sowie Arbeits- und Pausenzeiten festgehalten werden. Gleichzeitig stärkt er mit der Erfassung der Arbeitszeiten seine Rechtsposition. Beim Streit über angeblich geleistete Überstunden, beim Verdacht auf Arbeitszeitbetrug oder im Streit mit der Berufsgenossenschaft darüber, ob ein Unfall in die Arbeitszeit fiel, bringt ein aussagefähiges, verbindliches Erfassungssystem entscheidende Vorteile.

Ein großes praktisches Problem ist eine genaue, ortsunabhängige Zeiterfassung mit digitalen Systemen nicht. Es gibt eine breite Auswahl an Lösungen und Apps. Ihr Einsatz bedeutet keineswegs Entmündigung, Überwachung oder fehlende Flexibilität. Zum einen gilt auch in diesem Fall das Datenschutzrecht. Zum anderen schließt das EuGH-Urteil nicht aus, dass Mitarbeiter die Erfassung ihrer Arbeitszeiten selber steuern, genau wie Selbstständige, die Kunden ihre Arbeitszeit berechnen. Nichts spricht dagegen, dass eine von den Mitarbeitern selbst bediente Arbeitszeit-App „objektiv, verlässlich und zugänglich“ ist. Hauptsache, sie wird genutzt.

Wichtig: Wo es einen Betriebsrat gibt, muss er an der Einführung eines Systems zur Arbeitszeiterfassung beteiligt werden.

 

Anmerkung: Wann schreibt deutsches Recht Arbeitszeiterfassung vor?

Nach deutschem Recht ist die Erfassung von Arbeitszeiten aktuell nur in drei Fällen ausdrücklich vorgeschrieben:

  • Mehrstunden, die über die tägliche Höchstarbeitszeit von 8 Stunden hinausgehen, müssen laut Arbeitszeitgesetz aufgezeichnet werden. (§ 16 Abs. 2 ArbZG). Das betrifft auch bei Vertrauensarbeitszeit.
  • Das Gleiche gilt gemäß Mindestlohngesetz für Arbeitsbeginn, - ende und –dauer von 450-Euro-Kräften sowie von kurzfristig Beschäftigten (§ 17 MiLoG).
  • Die Arbeitszeiten (Beginn, Ende, Dauer) von Arbeitnehmern in 11 Branchen müssen ebenfalls festgehalten und aufbewahrt werden: Baubetriebe, Gastronomie und Hotellerie, Personenbeförderung, Transport und Logistik, Schaustellerbetriebe, die Forstwirtschaft, Gebäudereinigung, Messebau, Fleischindustrie, Wachschützer und Prostitutionsgewerbe (§ 17 MiLoG i. V. m. § 2a SchwarzArbG).

In allen drei Fällen beträgt die Aufbewahrungsfrist zwei Jahre.

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