27 Dez 2018

Grenzenlose Meinungsfreiheit? Nicht am Arbeitsplatz

Meinungsfreiheit ist ein Grundrecht. Trotzdem hat das Recht auf freie Meinungsäußerung gerade am Arbeitsplatz seine Grenzen. Wenn Kollegen diskriminiert werden, muss der Arbeitgeber reagieren.

Von der Migration über die Energiewende bis zu Gender-Fragen: An Konfliktstoff und Meinungsverschiedenheiten fehlt es unserer Zeit nicht. Streit und radikale Meinungsäußerungen gibt es nicht nur in sozialen Medien. So etwas kommt auch während der Arbeitszeit vor.

Das stellt für Arbeitgeber ein Problem dar. Sie können Büros und Betriebsgelände nicht zur meinungsfreien Zone erklären. Andererseits kann schon ein einzelner Kollege durch lauthals geäußerte extremistische Positionen die Atmosphäre empfindlich stören. Und spätestens wenn bestimmte Mitarbeiter zur Zielscheibe von markig formulierten verbalen Angriffen werden, muss der Arbeitgeber über Reaktionen nachdenken.

Natürlich ist in einem solchen Fall nicht allein die arbeitsrechtliche Betrachtung entscheidend. Viel besser ist es, wenn sich der Betriebsfrieden auf andere Art wiederherstellen lässt, durch Gespräche etwa. Aber kennen sollte man als Arbeitgeber die Grenzen der Meinungsfreiheit am Arbeitsplatz schon.

 

Meinungsfreiheit oder Pflicht zur Loyalität?

Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild jederzeit frei zu äußern. Dies wird durch das Grundgesetz ausdrücklich geschützt, gilt auch für politische Ansichten, und grundsätzlich auch am Arbeitsplatz. Allerdings trifft man dort recht schnell auf die Grenzen der Meinungsfreiheit.

Wenn der Mitarbeiter eines Zigarettengroßhandels am Wochenende für das Verbot von Nikotin demonstriert und mit „Rauchen tötet“ auf dem T-Shirt zum Dienst erscheint, dann stehen seine verfassungsrechtlich garantierte Meinungsfreiheit und das Interesse des Arbeitgebers an Loyalität und Rücksichtnahme auf betriebliche Interessen in Konflikt miteinander. Diese Interessen müssen gegeneinander abgewogen werden.

 

Tendenzbetriebe: Besonders enge Grenzen

Bei sogenannten Tendenzbetrieben (§ 118 BetrVG) fällt die Abwägung relativ klar aus. Damit sind zum Beispiel kirchliche Arbeitgeber gemeint, aber auch die Presse oder der Rundfunk. Wer sich einen solchen Arbeitgeber auswählt, muss alle Meinungsäußerungen unterlassen, die der Tendenz des Arbeitgebers zuwiderlaufen. Die Leiterin einer Demenz-Station eines kirchlichen Pflegeheims darf sich nicht öffentlich für eine im Ausland ansässige Sterbehilfeorganisation stark machen.

 

Sonst: Meinungsfreiheit ja, Störung des Betriebsfriedens nein

Außerhalb solcher Tendenzbetriebe ist die Grenzziehung schwieriger. Eines lässt sich jedoch festhalten: Die politische Meinungsäußerung darf nicht zur Folge haben, dass die Zusammenarbeit im Betrieb ernsthaft gestört wird oder gar im Widerspruch zu den Interessen des Betriebs steht.

Bei unangebrachter politischer Betätigung am Arbeitsplatz kann eine Kündigung gerechtfertigt sein. Allerdings gelten auch dafür enge Grenzen. Das haben einige Urteile von Arbeitsgerichten gerade in letzter Zeit klar gemacht.

 

Beispiel und Gegenbeispiel: Kein Kampf im Pausenraum

  • Kein Kampf im Pausenraum: Ein Mitarbeiter eines Berliner Ordnungsamts bringt eine Originalausgabe von „Mein Kampf“ mit zur Arbeit und liest darin im Pausenraum. Dafür kassiert er – ohne vorherige Abmahnung – eine verhaltensbedingte ordentliche Kündigung. Die wird vom Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg auch bestätigt (LAG Berlin-Brandenburg, 25.09.2017 - 10 Sa 899/17). Als Mitarbeiter und Repräsentant des Landes Berlin sei der Arbeitnehmer dazu verpflichtet gewesen, für die freiheitlich-demokratische Grundordnung einzutreten. Mit dem öffentlichen Zeigen des Hakenkreuzes auf dem Buch-Cover, einem verfassungswidrigen Symbol, habe er in ganz besonderer Weise dagegen verstoßen.
  • Ein Busfahrer fährt weit rechts: Ein Busfahrer, Stadtrat der „Bürgerinitiative Ausländerstopp“, war mit sichtbarem Dienstausweis als Redner der Splitterpartei „Die Rechte“ aufgetreten. Sein Arbeitgeber, die Nürnberger Verkehrsbetriebe VAG, hatten ihm dafür fristlos gekündigt (hilfsweise ordentlich). Das Landesarbeitsgericht Nürnberg erklärte die Kündigung für unwirksam (LAG Nürnberg, 11.08.2017 - 6 Sa 76/17). Der Mann habe zwar durch das sichtbare Tragen seines Dienstausweises bei der Kundgebung gegen seine Loyalitätspflichten verstoßen. Aber da es sich um ein rein außerdienstliches Verhalten gehandelt habe, hätte eine Abmahnung ausgereicht.

Mal so, mal so?

Der Grund für die unterschiedliche Beurteilung in den beiden Fällen lässt sich relativ einfach zeigen. Das Verhalten des Bezirksamtsmitarbeiters erfolgte innerbetrieblich. Der Pausenraum gehört zum Arbeitsplatz, er trug dabei Dienstuniform. Zudem war ein eindeutig verfassungswidriges Symbol im Spiel.

Dagegen trat der Nürnberger Busfahrer zwar für eine vom Verfassungsschutz beobachtete Initiative auf, die jedoch nicht verboten ist (noch nicht, jedenfalls). Als Mitarbeiter eines - nominell - privaten Verkehrsunternehmens (Tochterunternehmen der Stadtwerke) unterliegt er nicht wie ein Mitarbeiter im öffentlichen Dienst der Pflicht, sich durch sein Verhalten zur freiheitlich demokratischen Grundordnung zu bekennen.

 

Was bedeutet das für die Praxis?

Wenn einer Ihrer Mitarbeiter den Betriebsfrieden gefährdet, weil er durch extremistisches oder diskriminierendes Gedankengut oder entsprechende Aktionen auffällt, ist die erste Frage, wo es zu diesem Verhalten kam: außerdienstlich oder am Arbeitsplatz? Bei Vorfällen außerhalb der Arbeit muss tendenziell mehr zusammenkommen, damit Sie als Arbeitgeber Konsequenzen ziehen können, als bei Aktionen oder Äußerungen im Rahmen des Berufs.

Trotzdem gibt es für die Beurteilung keine einfachen Regeln. Entscheidend ist der Einzelfall: die Art des Betriebes, wie die Pflicht zur Loyalität zum Arbeitgeber sich unter den Gegebenheiten auswirkt, was genau vorgefallen ist und was es für Kollegen oder Kunden bedeutet. All das muss bei der Entscheidung berücksichtigt werden, ob eine Abmahnung ausreicht oder ob die Situation eine direkte Kündigung erfordert. Dass es kein Fehler ist, sich dabei von einem Anwalt beraten zu lassen, liegt auf der Hand.

 

„Lieber nichts tun“ ist gefährlich

Bei eindeutigen Vorkommnissen nicht zu reagieren, ist jedenfalls keine Lösung. Wenn Mitarbeiter rassistischen oder sexistischen Äußerungen von Kollegen ausgesetzt sind, und der Arbeitgeber das weiß, aber nichts unternimmt, dann wird er selbst schadenersatzpflichtig.

Der wichtigste Grund hat allerdings weniger mit rechtlichen als mit grundsätzlichen Erwägungen zu tun: Ein Unternehmen, in dem sich eine hasserfüllte Atmosphäre entwickelt, wird kaum funktionieren. Faires, menschliches Miteinander ist eine Voraussetzung für den Unternehmenserfolg. Dass jeder seine Meinung äußern darf, gehört dazu. Gegenseitiger Respekt ebenfalls.

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Mitarbeiter Arbeitgeber

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