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12. Januar 2024
4 Min. Lesezeit
Arbeitgeber
Mitarbeiter

Bundesarbeitsgericht: kein absolutes Recht auf Nichterreichbarkeit nach Feierabend

Klar: Freizeit ist Freizeit und gehört den Mitarbeitern. Arbeitgeber können nicht verlangen, dass Arbeitnehmer nach Feierabend weiter zur Verfügung stehen. Allerdings können die Beschäftigten umgekehrt nicht in jedem Fall auf einem absoluten Recht auf Nichterreichbarkeit bestehen. Das hat das Bundesarbeitsgericht vor einiger Zeit klargestellt.

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Unerreichbar: der Notfallsanitäter versäumt seinen Springer-Dienst

In bestimmten Fällen müssen Arbeitnehmer für ihre Arbeitgeber auch in der Freizeit erreichbar sein. Das gilt allerdings nur unter bestimmten Voraussetzungen. Es darf nicht mit der Pflicht verwechselt werden, für den Arbeitgeber jederzeit auf Empfang zu sein.

Das Urteil des Bundesarbeitsgerichts bezog sich auf einen Notfallsanitäter, der bei einem Rettungsdienst in Schleswig-Holstein beschäftigt war. Zur Arbeit gehörten gelegentliche Einsätze als „Springer“. Die Zuteilung der Arbeitszeiten hatten Arbeitgeber und Betriebsrat in einer sehr umfangreichen Betriebsvereinbarung geregelt. Diese sah vor, dass Springer-Dienste spätestens vier Tage vorher ungefähr festgelegt wurden, beispielsweise als Tag-Schicht mit Beginn zwischen sechs und neun Uhr morgens. Bis um 20.00 Uhr am Vortag musste der Arbeitgeber dann „konkretisieren“, wo und wann der Springer-Dienst genau stattfinden sollte.

Das ging im Fall des Notfallsanitäters zweimal schief. Der Arbeitgeber versuchte an den Tagen vor den Springer-Diensten, den Sanitäter über den Dienstbeginn zu informieren. Er schickte E-Mails und SMS und versuchte anzurufen. Der Adressat las aber weder die Nachrichten noch ging er ans Telefon.

Deshalb kam er in beiden Fällen zu spät. Einmal davon erschien er zudem in der falschen Rettungswache und wurde wieder nach Hause geschickt.  Als Reaktion kürzte der Arbeitgeber das Arbeitszeitguthaben des Beschäftigten um mehr als 11 Stunden und erteilte ihm eine Abmahnung. Der Notfallsanitäter klagte gegen beide Maßnahmen.

Recht auf Unerreichbarkeit? Das Bundesarbeitsgericht korrigiert das Landesarbeitsgericht

Der Prozess zog sich vom Arbeitsgericht Meldorf über das Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein bis hin zum Bundesarbeitsgericht. Dabei kamen das Landesarbeitsgericht in Kiel und das Bundesarbeitsgericht in Erfurt zu unterschiedlichen Entscheidungen (Aktenzeichen: LAG Schleswig-Holstein, 27.09.2022 - 1 Sa 39 öD/22 und BAG, 23.08.2023 - 5 AZR 349/22).

  • Die Kieler Richter sahen den Beschäftigten in seinen Rechten verletzt. Er sei nicht verpflichtet gewesen, während seiner Freizeit eine dienstliche SMS aufzurufen. Beim Lesen der Nachricht handle es sich um eine Arbeitsleistung, trotz des „zeitlich minimalen Aufwands“. In seiner Freizeit stehe dem Kläger deshalb ein „Recht auf Nichterreichbarkeit“ zu. Auch wenn der Notfallsanitäter weder auf die Telefonate reagiert noch die SMS gelesen und auch den Dienstplan im Internet nicht eingesehen hatte, lag für das Landesarbeitsgericht kein abmahnfähiger Verstoß gegen arbeitsvertragliche Pflichten vor.

  • Diese Sichtweise wurde von dem Bundesarbeitsgericht kassiert: die oberste Instanz sah es als arbeitsvertragliche Nebenpflicht des Notfallsanitäters, sich über zugeteilte Dienste zu informieren. Dem habe er auch außerhalb seiner eigentlichen Dienstzeit nachzukommen. Die Pflicht, sich selbst in der Freizeit über den genauen Dienstbeginn zu informieren, leiteten die Richter aus der Betriebsvereinbarung ab, die die Konkretisierung bis zum Vortag ermöglichte. Das BAG wies darauf hin, dass der Beschäftigte nicht ununterbrochen erreichbar oder dienstbereit sein musste und es ihm überlassen blieb, wann er genau die SMS des Arbeitgebers öffnete. Das Lesen der Nachricht sei „zeitlich derart geringfügig“, dass die Ruhezeit nicht unterbrochen werde. Deshalb durfte der Arbeitgeber den Beschäftigten sanktionieren: der Abzug der Arbeitsstunden und die Abmahnung waren gerechtfertigt.

Fazit: Erreichbarkeit in der Freizeit kann verpflichtend sein – wenn es eine Vertragsgrundlage gibt

Arbeitnehmer können sich nicht einfach stets darauf zurückziehen, dass die Belange des Betriebs sie nach Feierabend nichts mehr angehen. Das hat das Bundesarbeitsgericht deutlich gemacht. Eine SMS oder WhatsApp-Nachricht des Arbeitgebers zu lesen oder zwischendurch einen Blick auf den Dienstplan im Internet zu werfen, ist keine Arbeitsleistung, die in der Freizeit unzumutbar wäre.

Allerdings folgt aus dem Urteil keinesfalls, dass Arbeitgeber von ihren Beschäftigten jederzeit Erreichbarkeit und umgehende Antworten erwarten können. In dem beschriebenen Fall folgte die „arbeitsvertragliche Nebenpflicht“ zum Lesen der SMS aus der Betriebsvereinbarung, die für den Notfallsanitäter verpflichtend war. Arbeitgeber, die eine grundlegende Erreichbarkeit in der Freizeit gewährleisten wollen, müssen das mit ihren Arbeitnehmern vereinbaren. Sehr weit darf die geforderte Erreichbarkeit nicht gehen: die Ruhezeit darf nicht beeinträchtigt werden.Im Fall des Notfallsanitäters war es außerdem wichtig, dass die Springer-Schichten zumindest ungefähr festlagen, schon vor der Konkretisierung des Arbeitsbeginns. Damit handelte es sich nicht um Arbeit auf Abruf, bei der Arbeitgeber Dienste spätestens vier Tage vorher ankündigen müssen.