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14. September 2021
3 Min. Lesezeit
Krankmeldung
Arbeitgeber
Entscheidungen

Krankschreibung ohne Arztkontakt

Kranke Arbeitnehmer, die nicht arbeiten können, haben Anspruch auf Lohnfortzahlung. Dazu müssen sie eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom Arzt vorlegen. Stellt dieser den „gelben Zettel“ aus, ohne mit dem Mitarbeiter auch nur geredet zu haben, muss der Arbeitgeber an den Fehltagen den Lohn nicht fortzahlen. Das hat das Arbeitsgericht Berlin erneut bestätigt.

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Kein Arztgespräch, kein gültiger Nachweis der Arbeitsunfähigkeit

Im August und im September 2020 hatte sich ein Berliner Sicherheitsmitarbeiter für je vier Tage krank gemeldet. Die AU-Bescheinigung, die er vorlegte, stammte von einer Gynäkologin aus Hamburg.

Ein persönlicher, direkter bzw. telefonischer Kontakt zwischen der Ärztin und dem Arbeitnehmer hatte nicht stattgefunden. Der Mann hatte die Website AU-Schein.de genutzt. Der Dienst bietet laut Selbstbeschreibung die „Online-Krankschreibung ohne Arztbesuch“ an, „einfach, schnell und gültig“. Die Krankheiten, die attestiert werden, sind „Erkältung“, „Regelschmerzen“, „Rückenschmerzen“, „Stress“, „Migräne“, „Blasenentzündung“ und „Magen-Darm-Grippe“. Die Symptome werden von den Arbeitnehmern per Online-Fragebogen ausgewählt, die AU-Bescheinigung kommt als PDF.

Klare Entscheidung des Arbeitsgerichts

Der Arbeitgeber war von dieser Form der ärztlichen Diagnose nicht überzeugt. Er verweigerte die Lohnfortzahlung für die jeweils vier Fehltage. Der Mitarbeiter machte seine Forderung zunächst schriftlich geltend und ging dann vors Arbeitsgericht.

Erfolg war ihm dort nicht beschieden. Die Berliner Arbeitsrichter sahen keinen Anspruch auf Lohnfortzahlung (Aktenzeichen: ArbG Berlin, 01.04.2021 - 42 Ca 16289/20). Sie beriefen sich auf eine Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts aus den Siebzigerjahren (AZ: BAG, 11. 08. 1976 – 5 AZR 422/75). Schon damals hatte das oberste deutsche Arbeitsgericht klargestellt: „Mit einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, die der Arzt ohne vorausgegangene Untersuchung ausgestellt hat, wird der Arbeiter deshalb in der Regel seine Erkrankung nicht beweisen können.“

Auch wenn man heute von „Arbeitnehmern“ spricht, hat sich daran nichts geändert. In dem damaligen Fall hatte die Ehefrau des Mitarbeiters die AU-Bescheinigung telefonisch von ihrem Hausarzt „bestellt“. Nicht anders war es in dem vorliegenden Fall: Wie das Berliner Arbeitsgericht feststellte, hatte die Hamburger Gynäkologen den männlichen Arbeitnehmer „weder persönlich untersucht noch ein persönliches oder telefonisches Gespräch mit ihm geführt“.

Mindestens ein Telefonat muss sein – das gilt auch in der Pandemie

2020 galt als Teil der Pandemie-Maßnahmen, dass Ärzte bei Erkrankungen der oberen Atemwege eine Krankschreibung auch nach Telefonkontakt ausstellen konnten. Das änderte für das Arbeitsgericht aber nichts daran, dass die Krankschreibung über AU-Schein.de nicht ordnungsgemäß erfolgt war: Dort hatte ja kein Telefonkontakt stattgefunden.

Fazit

Für Arbeitgeber kann es sich lohnen, auf die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu achten, wenn sie einem Mitarbeiter misstrauen. Steht dort eine Vertragsarztnummer, oder handelt es sich um einen Privatarzt? Hat der seinen Sitz womöglich ungewöhnlich weit vom Wohnort des Arbeitnehmers entfernt? Das sind natürlich keine Beweise. Solche Indizien können jedoch auf eine im Internet besorgte, ohne Untersuchung erstellte Krankschreibung hindeuten.

Die elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung kommt

Ab dem 01. Juli 2022 beginnt das Zeitalter der elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (eAU) auch für Arbeitgeber. Ab diesem Stichtag soll die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung in digitaler Form direkt von der Arztpraxis an den Arbeitgeber übermittelt werden. Der Mitarbeiter selbst muss nichts mehr vorlegen.

Das gilt zumindest bei gesetzlich Krankenversicherten. Für Privatpatienten bleibt es bei der Krankschreibung auf Papier. Das bedeutet wohl auch, dass die Nutzung eines „Fern-Krankschreib-Service“ wie AU-Schein.de leichter erkennbar wird. Ein Abrechnen der Krankschreibung über die gesetzliche Krankenversicherung ist bislang nicht möglich. Wenn gesetzlich krankenversicherte Mitarbeiter ab Juli nächsten Jahres also weiterhin Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen auf Papier und ohne Vertragsarztnummer vorlegen, sollten Arbeitgeber ruhig genauer hinschauen.