Abrechnung von Bereitschaftsdiensten
März 2018: Für viele Berufsgruppen ist das Ableisten von Bereitschaftsdiensten Alltag. Typische Beispiele sind Ärzte und Pflegepersonal im Gesundheitswesen, Angehörige von Berufsfeuerwehren, aber auch Tierärzte, Apothekenpersonal oder Mitarbeiter von Sicherheits- und Wachdiensten.
Bereitschaftsdienste werfen eine ganze Reihe von Fragen auf: Stellen sie Arbeitszeit dar oder nicht? Inwiefern zählen Bereitschaftszeiten als Mehrarbeitsstunden? In welcher Form fließen sie in die Berechnung des Mindestlohns ein? Im folgenden Überblick geben wir darauf eine Antwort.
Was macht einen Bereitschaftsdienst aus?
Als Bereitschaftsdienst gilt eine Zeitspanne außerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit, während der sich der Arbeitnehmer an einem vom Arbeitgeber bestimmten Ort für einen möglichen Arbeitseinsatz bereithalten muss. Diese Zeit zählt als Arbeitszeit des Arbeitnehmers, unabhängig davon, ob er wirklich zum Einsatz kommt.
Typisches Beispiel sind Mitarbeiter eines Rettungsdienstes, die sich in der Einsatzzentrale für Einsätze bereithalten. Solche Zeiten zählen als Arbeitszeit, weil die Arbeitnehmer bei Bedarf innerhalb kurzer Zeit dienstbereit sein müssen. Dafür ist es gleichgültig, ob sie während der einsatzfreien Zeit die Fahrzeuge überprüfen und mit Material auffüllen müssen oder ob sie in dieser Zeit fernsehen können.
Der Arbeitnehmer muss sich nicht in jedem Fall zwingend an seinem Arbeitsplatz aufhalten, damit es sich um einen Bereitschaftsdienst handelt. Es muss ihm jedoch möglich sein, die Arbeit sofort beziehungsweise zeitnah aufzunehmen. Der Mitarbeiter muss sich also beim Bereitschaftsdienst in unmittelbarer Nähe zur Arbeitsstelle aufhalten.
Die Rufbereitschaft
Den Unterschied zwischen Bereitschaftsdienst und Rufbereitschaft macht der zulässige Aufenthaltsort des Arbeitnehmers aus. Dieser ist bei der Rufbereitschaft weniger genau festgelegt.
Bei der Rufbereitschaft entscheidet der Arbeitnehmer selbst über seinen Aufenthaltsort. Er muss nicht am Arbeitsplatz anwesend sein. Er kann selbst darüber bestimmen, wo er sich während der Rufbereitschaft aufhält, solange er erreichbar ist und den Arbeitsort bei Bedarf in einer vertretbaren Zeit erreicht.
Beim Bereitschaftsdienst muss sich der Arbeitnehmer am Arbeits- oder Einsatzort oder in dessen unmittelbarer Nähe aufhalten.
Entscheidend dafür, dass es sich um Rufbereitschaft handelt, ist also nicht etwa die Bezeichnung, sondern die Umsetzung: Verlangt der Arbeitgeber, dass der Arbeitnehmer innerhalb kürzester Zeit am Arbeitsplatz ist, dann handelt es sich um einen Bereitschaftsdienst und damit um Arbeitszeit. Das gilt auch dann, wenn dies arbeitsvertraglich als „Rufbereitschaft“ bezeichnet wird. So entschied es das Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz in Bezug auf einen Klinikarzt, der im Bedarfsfall innerhalb von 15 bis 20 Minuten am Dienstort sein musste (LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 20.09.2012, 11 Sa 81/12).
Bereitschaftsdienst ist Arbeitszeit
Das Arbeitszeitgesetz (§ 2 ArbZG) definiert Arbeitszeit als die Zeitspanne von Beginn bis zum Ende der Arbeit, Pausen nicht mitgerechnet. Zu Bereitschaftszeiten sagt es in diesem Zusammenhang nichts. Dagegen beantwortet ein Blick in die Europäische Arbeitszeitrichtlinie die Frage, ob Bereitschaftsdienst als Arbeitszeit anzusehen ist (RL 93/104). Dort wird als Arbeitszeit die Zeitspanne bestimmt, während der ein Arbeitnehmer seinem Arbeitgeber zur Verfügung zu stehen hat.
Folgerichtig hat der Europäische Gerichtshof (EuGH, Urteil vom 03.10.2000, C-303/98) den Bereitschaftsdienst von Ärzten, der eine persönliche Anwesenheit notwendig macht, als Arbeitszeit eingeordnet.
Rufbereitschaft ist grundsätzlich keine Arbeitszeit
Im Unterschied zum Bereitschaftsdienst zählt Rufbereitschaft nicht als Arbeitszeit, solange kein Einsatz notwendig wird. (Einsatzzeiten sind selbstverständlich stets Arbeitszeit.)
Bereitschaftsdienst, Höchstarbeitszeit und Mindestruhezeit
Für die zulässige tägliche Arbeitszeit gelten klare Grenzen: sie ist auf acht Stunden beschränkt, nur ausnahmsweise darf sie auf 10 Stunden ausgedehnt werden (§ 3 ArbZG).
Wie passt das mit Bereitschaftsdiensten zusammen? Das Arbeitszeitgesetz erlaubt das Überschreiten der werktäglichen Arbeitszeit von acht Stunden ohne einen Ausgleich, falls die Arbeitszeit in einem erheblichen Umfang aus Bereitschaftsdienst besteht (§ 7 Abs. 2a ArbZG). Voraussetzung ist allerdings eine entsprechende tarifvertragliche Regelung oder eine auf einem Tarifvertrag basierende Betriebsvereinbarung. Außerdem muss sichergestellt sein, dass die Gesundheit der Arbeitnehmer nicht gefährdet ist.
Beispiel: ein Arzt arbeitet von 13 Uhr bis 20 Uhr regulär (mit 30 Minuten Pause), und hat dann von 20 Uhr bis zum nächsten Morgen um 8 Uhr Bereitschaftsdienst. Anschließend darf er von 8 Uhr bis 11.30 Uhr erneut normalen Dienst versehen, dann sind die maximal 10 Stunden Vollarbeitszeit erfüllt.
Von den Höchstarbeitszeiten kann nicht nur durch Tarifvertrag, sondern auch durch individuelle Vereinbarung abgewichen werden.
Dass die Arbeitszeit „zu einem erheblichen Umfang“ aus Bereitschaftsdienst besteht ist dann gegeben, wenn etwa 25 bis 30 Prozent der Gesamtarbeitszeit auf den Bereitschaftsdienst entfallen.
Neben der gesetzlichen Höchstarbeitszeit ist für den Bereitschaftsdienst auch die Mindestruhezeit von Bedeutung. Diese beträgt grundsätzlich elf Stunden. Sie kann jedoch durch tarifvertragliche Regelungen verkürzt werden.
Bereitschaftsdienst und Überstunden
Wenn der Bereitschaftsdienst an die Regelarbeitszeit angehängt wird, muss der Arbeitgeber keine Überstunden anordnen, damit über die Regelarbeitszeit hinaus noch Arbeit erledigt wird. Er kann verlangen, dass diese im Bereitschaftsdienst zu erledigen ist, ohne dass dieser als Überstunden zählt.
Bereitschaftsdienst und Vergütung
Bei der Frage nach der Vergütung für Bereitschaftsdienste greift zum einen die gesetzliche Vorschrift, „während der Nachtzeit geleistete“ Arbeitsstunden auszugleichen: Gibt es keine anderslautenden tarifvertraglichen Ausgleichsregelungen, muss der Arbeitgeber für während der Nacht geleistete Arbeitsstunden eine angemessene Anzahl an freien Tagen oder einen angemessenen Zuschlag auf das Bruttoarbeitsentgelt zahlen (§ 6 Abs. 5 ArbZG). Das gilt damit auch für nächtliche Bereitschaftsdienste.
Vergleichbare Regelungen sehen § 8.1 Abs. 7 TVöD-K beziehungsweise BAT-KF für den öffentlichen und Kirchendienst vor.
Es ist durchaus zulässig, wenn für die während des Bereitschaftsdienstes geleistete Arbeitszeit eine geringere Vergütung gezahlt und dies so im Individualarbeitsvertrag oder durch einen Tarifvertrag vereinbart wird. Das Bundesarbeitsgericht hat eine entsprechende Entscheidung (BAG, Urteil vom 28.01.2004, 5 AZR 530/02) damit begründet, dass die europäische Arbeitszeitrichtlinie in erster Linie den Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer im Auge habe und nicht deren Vergütung. In dem vom BAG entschiedenen Fall hatte eine Klinik ihren Ärzten für die Leistung von Bereitschaftsdienst rund ein Drittel weniger an Gehalt bezahlt als für ihre Tätigkeit während der regulären Arbeitszeit.
In Tarifverträgen ist es üblich, dass der Heranziehungsanteil (das ist der Anteil der Vollarbeit) zugrunde gelegt wird: Beträgt der Heranziehungsanteil 60 Prozent, erhält der Arbeitnehmer lediglich 60 Prozent seiner Stundenvergütung für den Bereitschaftsdienst. Hinzu können freilich noch Nacht- oder Feiertagszuschläge kommen. Außerdem müssen die Mindestlohnvorschriften beachtet werden.
Bereitschaftsdienst und Mindestlohn
Wenn Arbeitnehmer Anspruch auf den Mindestlohn haben, müssen auch ihre Bereitschaftsdienste mindestens mit dem Mindestlohn vergütet werden, derzeit also mit 8,84 Euro brutto die Stunde. Das hat das Bundesarbeitsgericht festgelegt (BAG vom 29.06.2016, 5 AZR 716/15).
Der Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn entsteht mit jeder geleisteten Arbeitsstunde (§ 1 Abs. 2 i. V. m. §§ 20, 1 Abs. 1 MiLoG). Die Richter begründeten dies damit, dass der Gesetzgeber den Mindestlohn nicht nach dem Grad der Inanspruchnahme (Arbeit oder Bereitschaftszeit) festgelegt habe. Deshalb habe er auch keine Abweichung im Hinblick auf die gesetzliche Vergütungspflicht vorgenommen.
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Bereitschaftsdienst und Urlaub
Wird ein Freizeitausgleich für den Bereitschaftsdienst gewährt, stellt dies keinen Urlaub dar.
Pflicht zum Bereitschaftsdienst?
Bereitschaftsdienst muss nur dann geleistet werden, wenn dies entweder vertraglich vereinbart wurde oder in einem Tarifvertrag oder einer Betriebsvereinbarung festgelegt ist.
Andernfalls kann der Arbeitnehmer nicht zum Bereitschaftsdienst gezwungen werden. Weigert sich der Arbeitnehmer in einem solchen Fall, Bereitschaftsdienste zu leisten, ist dies gemäß eines Urteils des Hessischen Landesarbeitsgerichts kein Grund für eine verhaltensbedingte ordentliche Kündigung (HessLAG, Urteil vom 06.11.2007, 12 Sa 1606/06).
Soll ein Bereitschaftsdienst eingerichtet werden, ist dies nach § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG mitbestimmungspflichtig, da es dadurch zu einer vorübergehenden Verlängerung der betriebsüblichen Arbeitszeit kommt.
Stand: 01. März 2018
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