Fünftelregelung bei geballter Nachzahlung von Überstundenvergütungen
April 2022: Der Bundesfinanzhof hat entschieden, dass auf die geballte Nachzahlung von Überstundenvergütungen für einen mehrjährigen Zeitraum nicht die volle Einkommensteuer anfällt. Es handelt sich vielmehr um außerordentliche Einkünfte, die unter die Fünftelregelung fallen.

Nachzahlung von Überstunden mehrerer Jahre – Streit mit dem Finanzamt
Zahlt der Arbeitgeber das Überstundenentgelt für einen Zeitraum von mehr als zwölf Monaten auf einen Schlag nach, dann gilt bei der Versteuerung die Fünftelregelung für außerordentliche Einkünfte. Es handelt sich um „Vergütungen für mehrjährige Tätigkeiten“ im Sinne von § 34 Abs. 2. Nr. 4 EStG. Das hat der Bundesfinanzhof vor Kurzem entschieden.
Geklagt hatte der Arbeitnehmer eines Unternehmens aus Nordrhein-Westfalen, der im Verlauf von drei Jahren etwa 330 Überstunden angesammelt hatte. Im Jahr darauf schloss er einen Aufhebungsvertrag mit seinem Arbeitgeber. Dieser sah unter anderem die Vergütung der bisher nicht ausgezahlten Überstunden im Rahmen der letzten Lohnabrechnung vor.
Das Finanzamt weigerte sich, für die zusammengeballte Auszahlung der Überstundenvergütung die Fünftelregelung zu akzeptieren. Es bestand auf der vollen Besteuerung. Als der Arbeitnehmer klagte und das Finanzgericht Münster in seinem Sinne entschied, ging das Finanzamt in Revision vor den Bundesfinanzhof. Aber auch der BFH stellte fest, dass der Arbeitnehmer Anspruch auf die Steuerermäßigung hatte, weil es sich um Vergütungen für mehrjährige Tätigkeiten handelte (BFH, 02.12.2021 - VI R 23/19).
Die Steuererleichterung für „außerordentliche Einkünfte“
In bestimmten Situationen greift eine Erleichterung bei der Lohn- bzw. Einkommensteuer, wenn Steuerpflichtigen ein großer Betrag auf einmal zufließt. Dafür muss es sich um „außerordentliche Einkünfte“ nach Definition in § 34 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes handeln. Ist dies der Fall, wirkt sich nur ein Fünftel des Betrags auf die Steuerprogression aus.
Für Arbeitnehmer kommt diese Steuererleichterung in zwei Situationen zum Tragen:
- wenn sie eine Abfindung im Rahmen einer Kündigung, einer Änderungskündigung oder eines Aufhebungsvertrages erhalten
- wenn das Entgelt für eine Tätigkeit für mehrere Jahre auf einmal ausgezahlt wird
Die Fünftelregelung
In beiden Fällen sorgt die Steuererleichterung dafür, dass der Grenzsteuersatz trotz der zusätzlichen Zahlung des Arbeitgebers nur begrenzt ansteigt. Zur Besteuerung wird in einer Differenzrechnung der Unterschied aus der Einkommensteuer ermittelt, die sich einmal nur bei dem sonstigen Einkommen ergibt, und zum anderen aus dem sonstigen Einkommen plus einem Fünftel des zusätzlichen Betrags. Der so ermittelte Steuersatz gilt dann für den Gesamtbetrag an zusätzlichem Einkommen. Die Steuererleichterung besteht darin, dass nur ein Fünftel des zusätzlichen Betrags in die Berechnung einfließt.
Rechenbeispiel zur Fünftelregelung
Bastian Beispiel verdient 4.000 Euro netto im Monat. Im Jahr 2022 erhält er für die zurückliegenden drei Jahre Überstundenentgelt in Höhe von 10.000 Euro zusätzlich ausgezahlt. Der Steuersatz gemäß Fünftelregelung ermittelt sich wie folgt:
- Das Grundgehalt beträgt 48000 Euro pro Jahr. Die Einkommensteuer darauf liegt in seinem Fall bei 7.780 Euro.
- Die Nachzahlung an Überstundenentgelt beträgt 10000 Euro.
- Davon wird ein Fünftel zum Grundjahreseinkommen addiert. Es ergeben sich 50.000 Euro (48.000 Euro plus 1/5 von 10.000 Euro). Die Einkommensteuer auf ein Einkommen von 50.000 beträgt bei Herrn Beispiel 343 Euro.
- Nun wird die Differenz aus beiden Steuerbeträgen gebildet und mit fünf multipliziert: 8.343 Euro - 7.780 Euro = 563 Euro, 563 Euro x 5 =815 Euro.
- Die 2.815 Euro sind der Betrag an Einkommensteuer, die Herr Beispiel von der Nachzahlung in Höhe von 10.000 Euro ans Finanzamt abführen muss.
- Zum Vergleich: Ohne Fünftelregelung ergeben sich ein Jahreseinkommen von 58.000 Euro und eine Lohnsteuer in Höhe von 710 Euro. Die steuerliche Mehrbelastung durch die Nachzahlung beträgt dann also 2.930 Euro.
- Die Anwendung der Fünftelregelung erspart Herrn Beispiel Einkommensteuer in Höhe von 115 Euro.
Aufgrund der Steuerprogression wächst der Effekt natürlich deutlich an, wenn die nachgezahlte Summe höher ausfällt als in unserem Beispiel.
Hintergrund: Die Steuerprogression
Hintergrund ist die Systematik des deutschen Einkommensteuerrechts. Das Existenzminimum ist als Grundfreibetrag steuerfrei. Zusätzliches Einkommen sorgt dafür, dass Einkommensteuer anfällt. Dabei wird für jeden zusätzlichen Betrag ein höherer Prozentsatz an Steuer fällig. Anders ausgedrückt: ein zusätzlicher Einkommensbetrag wird grundsätzlich höher besteuert als das Einkommen ohne diese Zusatzsumme. Außerdem steigt der Grenzsteuersatz mit der Höhe des Grundeinkommens, zu dem der Zusatzbetrag hinzukommt. Wer bei einem niedrigen Einkommen Tausend Euro zusätzlich bekommt, muss davon weniger versteuern als ein Kollege, der dieselbe Summe auf ein doppelt so hohes Grundeinkommen erhält.
Die Konsequenz: Werden einem Mitarbeiter bei gleichbleibendem Grundgehalt die Boni oder die Überstundenvergütungen für drei Jahre gesammelt ausgezahlt, würde er ohne Fünftelregelung stärker belastet als bei jährlicher Auszahlung. Da er im Auszahlungsjahr besonders viel verdient, würde auch der Prozentsatz an Steuern steigen.
Das soll die Fünftelregelung verhindern. Schließlich soll der Mitarbeiter nicht dafür bestraft werden, dass er das ihm zustehende Geld für mehrere Jahre auf einmal ausgezahlt bekommt oder dass seine Abfindung einen hohen Betrag ausmacht.
Vergütung für mehrjährige Tätigkeiten
Vergütungen für mehrjährige Tätigkeiten stellen bei zusammengeballter Auszahlung in einem Jahr außerordentliche Einkünfte dar, die steuerlich in der oben beschriebenen Art begünstigt werden. Das ergibt sich aus § 34 Abs. 2 Nr. 4 EStG. Allerdings müssen die Zahlungen dafür einige Voraussetzungen erfüllen:
- Ob als Nachzahlung oder Vorauszahlung: Die Tätigkeit, die vergütet wird, muss sich über mindestens zwölf Monate und über mindestens zwei Veranlagungszeiträume
- Die zusammengeballte Auszahlung muss aus „wirtschaftlich vernünftigen Gründen“ erfolgten und „für sich betrachtet zweckbestimmtes Entgelt für eine mehrjährige Tätigkeit“ Die Zahlung kann also nicht einfach in einen späteren Veranlagungszeitraum verlagert werden, nur um Steuern zu sparen.
- Allerdings ist „wirtschaftlich vernünftig“ nicht mit „üblich“ gleichzusetzen. So hatte eine Stiftung den Lohnzahlungszeitraum für ein Vorstandsmitglied einmalig von zwölf auf vierzehn Monate gedehnt, um eine zu hohe und damit gemeinnützigkeitsschädliche Tätigkeitsvergütung zu vermeiden. Das Vorstandsmitglied durfte für die Auszahlung die Fünftelregelung nutzen, denn dieser Grund –Vermeidung der Aberkennung der Gemeinnützigkeit – war aus Sicht der Stiftung wirtschaftlich vernünftig (BFH, 7. Mai 2015 - VI R 44/13).
- Die Zahlung des Arbeitgebers muss eine Tätigkeit vergüten, ihr muss also eine Arbeitsleistung gegenüberstehen. So würde kein Anspruch auf die Fünftelregelung bestehen, wenn die Zahlung die Nutzung einer Arbeitnehmererfindung durch den Arbeitgeber vergütet, denn die Lizenzierung ist keine Arbeitsleistung.
- Außerdem muss die Vergütung der Tätigkeit nach dem Zeitaufwand des Arbeitnehmers berechnet sein. Wird dagegen die Prämie für einen Verbesserungsvorschlag des Arbeitnehmers nach der Einsparung für den Arbeitgeber kalkuliert, die sich über mehrere Jahre hinweg ergibt, dann stellt die entsprechende Zahlung keine Vergütung für eine mehrjährige Tätigkeit dar. Deshalb darf die Fünftelregelung nicht genutzt werden (BFH, 31.08.2016 - VI R 53/1).
Anmerkung: Long Term Incentives
Vor kurzem erst hat der BFH entschieden, dass für langfristige Bonusprogramme, die die Entwicklung von Unternehmenskennzahlen über mehrere Jahre hinweg vergüten, die Fünftelregelung beansprucht werden kann. Das gilt selbst bei jährlicher Auszahlung. Mehr dazu steht im Beitrag „Incentive-Modelle mit Langzeitvergütung als außerordentliche Einkünfte“.
Keine Entsprechung in der Sozialversicherung
Die Besonderheit der Fünftelregelung bei der Besteuerung hat keine Entsprechung in Bezug auf die Sozialversicherungspflicht. Für die Ermittlung der Sozialbeiträge werden Zahlungen, die einkommensteuerlich außerordentliche Einkünfte darstellen, wie andere Einmalzahlungen behandelt. Aufgrund der Steuerpflicht sind sie beitragspflichtig. Aus Sicht der Sozialversicherungspflicht werden sie dem Monat zugeordnet, in dem sie zur Auszahlung kommen. Für diesen Monat muss dann ermittelt werden, inwieweit die Einmalzahlung und das sonstige Gehalt die Beitragsbemessungsgrenzen erreichen. Ist das der Fall, muss die anteilige Jahresbeitragsbemessungsgrenze ermittelt werden.
Kategorie
Steuern, Bescheinigungen und Rechtliches
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