Lohnabrechnung bei strittiger oder unklarer Rechtslage
Januar 2020: Im Bereich der Lohnabrechnung kann es aufgrund von komplexen rechtlichen Vorgaben zu Unsicherheiten kommen. In unserem aktuellen Lohn-Update gehen wir darauf ein wie man mit diesen umgehen kann.
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Unsicherheiten und unterschiedliche Rechtsauffassung zur Lohnsteuer
Wie ist eine bestimmte Sachlage in der Lohn- und Gehaltsabrechnung zu behandeln? Die Antwort kann aus vielen Gründen kompliziert sein:
Das deutsche Steuerrecht ist sehr komplex. Das gilt gerade auch für Einkommensteuer und Lohnsteuer.
Anweisungen der Finanzverwaltung, die eigentlich für rechtliche Klarheit sorgen sollten, tragen mitunter eher zur Verwirrung bei.
Dazu kommen Streitigkeiten zwischen Arbeitgeber und Finanzamt. Schließlich sehen beide ein- und denselben Vorgang naturgemäß aus unterschiedlicher Perspektive. Entsprechend häufig werden Steuererklärungen nicht akzeptiert, oder Betriebsprüfungen führen zu einem Änderungsbescheid mit Steuernachforderungen.
Solche Konflikte führen dann oft vors Finanzgericht. Doch ein rechtskräftiges Urteil lässt oft lange auf sich warten. Damit stellt sich die Frage, wie man einstweilen mit dem strittigen Sachverhalt in den laufenden Lohnabrechnungen umgehen soll. Das gilt besonders, wenn ein Rechtsstreit sich bis zum Bundesfinanzhof hinzieht.
Schließlich übernimmt die Finanzverwaltung längst nicht jede Gerichtsentscheidung in ihr Verwaltungshandeln. Oder sie lässt dabei viel Zeit verstreichen.
Lohnsteuer: Haftung des Arbeitgebers
Bei solchen Rechtsunsicherheiten muss der Arbeitgeber sich entscheiden. Behandelt er den Sachverhalt im Rahmen der Lohnsteuer-Anmeldung so, wie ihn das Finanzamt beurteilt, oder führt er Lohnsteuer und Sozialversicherungsbeiträge gemäß der eigenen Sichtweise ab?
Bei einer falschen Entscheidung drohen Konsequenzen:
Der Arbeitgeber haftet in aller Regel dafür, dass Lohnsteuerabzugsbeträge und Sozialversicherungsbeiträge korrekt ermittelt werden. Und zwar nach beiden Seiten – gegenüber dem Finanzamt und gegenüber dem Arbeitnehmer.
Außerdem steht schnell der Vorwurf einer leichtfertigen Steuerverkürzung im Raum. Der Vorwurf kann sogar auf vorsätzliche Steuerhinterziehung lauten.
Damit ist dann eine persönliche Haftung von Mitgliedern der Geschäftsführung oder des Vorstands für die nicht abgeführte Lohnsteuer möglich.
Der Arbeitgeber steht also vor dem Dilemma: Zahlt er dem Finanzamt mehr Steuern als nötig, schädigt er seine Mitarbeiter beziehungsweise das eigene Unternehmen. Stellt sich heraus, dass er die Steuerschuld nicht erfüllt hat, drohen Konsequenzen bis hin zur persönlichen Inanspruchnahme.
In der Regel besteht das optimale Vorgehen – soweit möglich – darin, die Lohnsteuer wie vom Finanzamt gefordert zu bezahlen, dabei jedoch auf schwebende Verfahren zu verweisen und gegebenenfalls mit einem Einspruch auf der eigenen Sichtweise zu beharren.
Ein Beispiel: Lohnsteuerpflicht bei Betriebsveranstaltungen
Ein typisches Beispiel liefert der seit langem schwelende Streit darüber, wann Aufwendungen eines Arbeitgebers für Betriebsveranstaltungen steuerfrei sind und wann nicht. Pro Teilnehmer und Feier gilt laut Gesetz ein Freibetrag von 110 Euro (für maximal zwei Veranstaltungen jährlich, §19 Abs. 1 Nr. 1a EStG). Soweit die Aufwendungen diese Grenze überschreiten, fällt darauf Lohnsteuer an.Streit gibt es regelmäßig darüber, wer als Teilnehmer zählt. Nach Auffassung der Finanzverwaltung sind das nur die anwesenden Arbeitnehmer. Wenn Mitarbeiter eingeladen wurden, aber verhindert waren, sind sie für die Finanzämter nicht von Belang (BMF-Schreiben vom 14. 10 2015, IV C 5 - S 2332/15/10001). Damit ergibt sich – bei gleichen Kosten – ein höherer zu versteuernder Betrag, wenn ein Teil der Arbeitnehmer absagt.
Dieser Auffassung trat das Finanzgericht Köln klar entgegen: Es sei nicht nachvollziehbar, wenn den Feiernden die Aufwendungen für Absagende zugerechnet werden. Das Finanzamt hat dagegen Revision beim BFH eingelegt (BFH - VI R 31/18, anhängig). Bis zu dessen Entscheidung bleibt die Frage ungeklärt.
Anhängige Verfahren um Lohnsteuer und Gehaltsabrechnung
Zu solchen ungeklärten Streitfragen läuft in den meisten Fällen bereits ein Prozess vor einem der Finanzgerichte oder dem Bundesfinanzhof. Andere Arbeitgeber, die mit ganz ähnlichen Rechtsfragen konfrontiert sind, können den Aufwand einer eigenen Klage vermeiden und stattdessen gegenüber dem Finanzamt auf das schwebende Verfahren verweisen.
Dafür steht im Formular für die Lohnsteuer-Anmeldung unter der Kennziffer 23 ein eigenes Freitext-Feld bereit. Es ist für Hinweise auf „weitere oder abweichende Angaben oder Sachverhalte“ gedacht. Die Option kann ein Arbeitgeber bei seiner Lohnsteuer-Anmeldung nutzen, wenn er selbst eine Betriebsfeier durchgeführt hat und eine Berücksichtigung absagender Arbeitnehmer sich auf die Lohnsteuerlast auswirkt. In diesem Fall sollte er auf das vor dem BFH anhängige Verfahren verweisen.
Allerdings ist damit die Sache in den seltensten Fällen erledigt. Das Betriebsstättenfinanzamt ist an das Schreiben des Bundesfinanzministeriums gebunden und wird die Situation anders beurteilen. Dem Arbeitgeber bleibt dann nur ein Einspruch gegen den Lohnsteuerbescheid, in dem er erneut auf das beim BFH anhängige Verfahren hinweist. Dieser Schritt zahlt sich aus, falls der BFH ein für die Arbeitgeberseite positives Urteil fällt: Dann kann das Unternehmen die zu viel abgeführte Lohnsteuer zurückfordern. Hat es keinen Einspruch eingelegt, geht es leer aus.
Und wenn die Finanzverwaltung mauert?
Leider zeigt sich Finanzverwaltung beim Übernehmen ihr nicht genehmer Gerichtsentscheidungen wenig eifrig. Dazu müssen diese im Bundessteuerblatt veröffentlicht werden. Das geschieht jedoch oft erst mit großer Verspätung. In anderen Fällen ergeht sogar ein expliziter Nichtanwendungserlass: Die Finanzbeamten werden angewiesen, eine bestimmte Gerichtsentscheidung bei ihrer Arbeit nicht zu berücksichtigen. Auch in diesem Fall hat der betroffene Arbeitgeber die Möglichkeit, gegen den Steuerbescheid Einspruch einzulegen.
Wird dieser abschlägig beschieden, bleibt zwar nur die Möglichkeit einer eigenen Klage. Je nach Höhe der strittigen Steuersumme und nach Rechtslage kann diese Option aber aussichtsreich sein. Arbeitgeber haben gute Perspektiven, wenn sie auf Grundlage eines BFH-Urteils gegen abweichende Steuerbescheide vorgehen. Erfahrungsgemäß wird sich das Finanzamt dann nicht unbedingt auf ein langes Verfahren einlassen. Dass für solche Schritte der steuerrechtliche Rat eines kompetenten Anwalts eingeholt werden sollte, liegt auf der Hand.
Weiteres Beispiel: „zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn“
Im August dieses Jahres änderte der Bundesfinanzhof in drei vielbeachteten Entscheidungen seine Rechtsprechung. Es ging um die Frage, wann eine Arbeitgeberleistung „zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn“ erfolgt (BFH, Urteile v. 01.08.2019 - VI R 32/18, VI R 21/17, VI R 40/17). Diese Formulierung findet sich in vielen steuerrechtlichen Vorschriften.
Konkret ging es in den Verfahren um Fahrtkosten-, Telefonkosten- und Internetzuschüsse, für die die Lohnsteuer pauschaliert worden war (gemäß § 40 Abs. 2 EStG), und um Kindergartenzuschüsse, für die keine Lohnsteuer abgeführt wurde (gemäß § 3 Nr. 33 EStG – die genannten Vorschriften enthalten diese sogenannte Zusätzlichkeitsbedingung).
Die Leistungen beruhten in den verhandelten Fällen allesamt auf Lohnumwandlung. Nach der früheren Sichtweise des BFH hätten sie jedoch freiwillig zum geschuldeten Lohn bezahlt werden müssen, ohne arbeitsvertraglichen Anspruch des Arbeitnehmers. Von dieser Sichtweise hat sich der BFH in den genannten Entscheidungen verabschiedet. Die Bedingung „zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn“ bezieht sich nach der neuen Auffassung der Richter nicht mehr auf Freiwilligkeit. Vielmehr setzt sie voraus, dass die Zuschüsse vom Arbeitgeber verwendungs- bzw. zweckgebunden erfolgen. Darf der Kindergartenzuschuss nur für die Betreuungskosten des Kindes verwendet werden, ist er steuerfrei, auch im Falle einer Gehaltsumwandlung.
Eines dieser Urteile ist zur Veröffentlichung im Bundessteuerblatt vorgesehen. Dort erschienen ist es bislang noch nicht. Trotzdem können Arbeitgeber die Chance nutzen und sich auf diese Entscheidungen berufen, wenn ein Steuerbescheid der neuen Sichtweise widerspricht. In diesem Fall ist ein Einspruch sinnvoll.
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