20 Mai 2019

Der EuGH verpflichtet zur Erfassung der täglichen Arbeitszeit – und nun?

Arbeitszeiterfassung in den Schlagzeilen

In den letzten Tagen sorgte eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für viel Aufmerksamkeit: die Richter machten den EU-Mitgliedstaaten zur Vorgabe, Arbeitgeber auf ein System zur Erfassung der täglichen Arbeitszeit jedes Arbeitnehmers zu verpflichten (14.05.2019, C-55/18).

Es ist richtig, dass die Entscheidung sich EU-weit auf die Rechtslage auswirkt. Trotzdem besteht aktuell wenig Anlass für Aktionismus bei den Unternehmen.

 

  • Zum einen sind zunächst die Mitgliedsstaaten Adressaten der Entscheidung, sie müssen die Gesetzeslage prüfen und gegebenenfalls ändern. Wie eine solche gesetzliche Regelung in Deutschland konkret aussehen wird, weiß im Moment noch niemand.
  • Zweitens ist bei der Mehrzahl der Betriebe bereits eine Arbeitszeiterfassung installiert. Konkreter Handlungsbedarf ergibt sich in Zukunft wohl allerdings dort, wo Arbeitszeiten gar nicht oder nur teilweise oder völlig unsystematisch erfasst werden.

 

Die Entscheidung

Ins Rollen gebracht hat die Sache die spanische Gewerkschaft CCOO. Genau wie in Deutschland besteht auch in Spanien grundsätzlich nur die Pflicht zum Aufzeichnen von Überstunden. Das genügte der Gewerkschaft nicht – sie verklagte die spanische Tochter der Deutsche Bank darauf, ein Erfassungssystem für sämtliche von den Mitarbeitern täglich geleisteten Arbeitszeiten einzurichten. Diese Verpflichtung ergebe sich aus europäischem Recht, nicht nur aus der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, sondern auch aus der Arbeitszeitrichtlinie 2003/88/EG.

Die Richter am EuGH sahen das ähnlich. Sie verlangten von den Mitgliedsstaaten, die Arbeitgeber in die Pflicht zu nehmen: Demnach muss es Vorschrift werden, ein „objektives, verlässliches und zugängliches System“ zu installieren, das die von jedem Arbeitnehmer täglich geleistete Arbeitszeit festhält. Nur so sei die Einhaltung der Arbeitszeitrichtline gewährleistet.

Allein die geleisteten Überstunden aufzuzeichnen reiche nicht. Die tägliche Arbeitszeiterfassung sei unerlässlich, um festzustellen, ob die wöchentliche Höchstarbeitszeit (Überstunden eingeschlossen) sowie die täglichen und wöchentlichen Ruhezeiten eingehalten worden seien.

 

Und nun?

Die Mitgliedstaaten haben jetzt die Aufgabe, Regelungen zur Umsetzung eines solchen Systems zu schaffen. Die Vorgaben sollen den Tätigkeitsbereich und der Größe des jeweiligen Unternehmens berücksichtigen.

In Deutschland ist bereits die Diskussion darüber losgebrochen, ob Gesetzesänderungen nötig sind. Vermutlich wird die Entscheidung des EuGH dazu führen. Bislang schreiben nur das Mindestlohngesetz und das Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz eine Arbeitszeiterfassung zwingend vor. Ansonsten muss nur jene Arbeitszeit erfasst werden, die mehr als acht Stunden am Tag umfasst.

 

Keine Vertrauensarbeitszeit mehr, aber Flexibilität hat der EuGH nicht verboten

In manchen Reaktionen auf das Urteil wurde so getan, als stünde nun die Rückkehr zum starren Stechuhr-Modell mit Werkssirene bevor, die den gemeinsamen Arbeitsbeginn für die gesamte Belegschaft verkündet. Das ist aber falsch.
Richtig ist, dass der EuGH der Vertrauensarbeitszeit ohne jede Aufzeichnung von Arbeits- und Ruhezeiten einen Riegel vorschiebt. Flexibel angelegte und flexibel erfasste Arbeitszeiten hat er aber nicht untersagt. Er hat auch nicht verboten, dass der Arbeitgeber den Mitarbeitern die Aufgabe überträgt, selbst Arbeitsbeginn, Arbeitsende und Pausen zu dokumentieren, etwa durch eine App.

Jetzt bleibt zunächst abzuwarten, was der Gesetzgeber aus der EuGH-Entscheidung macht. Erst dann sieht man wirklich, welcher Handlungsbedarf sich für Unternehmen in Deutschland ergibt.

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