03 Aug 2023

Fachkräfteeinwanderungsgesetz reformiert: erleichterte Rekrutierung von Personal aus dem Ausland

Die Reform des Fachkräfteeinwanderungsgesetztes hat längst nicht alle Hürden beseitigt. Aber es wird einfacher, qualifizierte neue Mitarbeiter aus Nicht-EU-Ländern zur Arbeit nach Deutschland zu holen. In vielen Fällen wird dabei eine Gehaltsschwelle relevant. Sie ist von der Beitragsbemessungsgrenze zur Rentenversicherung abhängig.

Reform des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes nach drei Jahren

Nur als echtes Einwanderungsland für Arbeitskräfte kann Deutschland dem Arbeitsmarkt das benötigte qualifizierte Personal bereitstellen. Mit dieser Erkenntnis tut sich das Land jedoch weiterhin schwer. Immerhin: Mit der Reform des erst 2020 beschlossenen Fachkräfteeinwanderungsgesetzes fallen weitere bürokratische Hürden für Fachkräfte aus Nicht-EU-Ländern.

Diverse Hindernisse bleiben weiter bestehen. Doch zumindest gibt es erleichterte Zugangsvoraussetzungen zum deutschen Arbeitsmarkt, zum Beispiel bei Sprachkenntnissen, bei der Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse, bei der Anerkennung von Berufserfahrung sowie bei Mindestgehältern.

Ab wann gelten die neuen Regeln?

Das „Gesetz zur Weiterentwicklung der Fachkräfteeinwanderung“ wurde vom Bundestag bereits beschlossen, eine dazugehörige Verordnung hat den Bundesrat passiert. Einige der Regeln, etwa die zur Blauen Karte EU, werden frühestens ab dem 18. November 2023 in Kraft treten, andere frühestens ab dem 01. Dezember, abhängig vom Datum der Verkündung im Bundesgesetzblatt.  

 

Anerkannte Qualifikation, Berufserfahrung oder Potenzial

Das neue Gesetz kennt drei „Säulen“ beziehungsweise Wege, die eine Einwanderung als Arbeitskraft oder zur Ausbildung ermöglichen:

  • Einwanderung als Fachkraft mit in Deutschland anerkanntem Abschluss: für diese Möglichkeit, die schon bisher bestand, wurde das erforderliche Mindestgehalt abgesenkt, die Bandbreite an „erlaubten“ Stellen erweitert.
  • Einwanderung als Fachkraft mit nachgewiesener, praktischer Berufserfahrung und einem zumindest im Herkunftsland anerkannten Abschluss: viele Interessentinnen und Interessenten haben Mühe, die Gleichwertigkeit ihres Berufsabschlusses mit einer deutschen Qualifikation nachzuweisen. Nun besteht die Möglichkeit, dies durch mindestens zwei praktische Berufsjahre auszugleichen, wenn der Berufsabschluss im Heimatland anerkannt ist.
  • Einwanderung aufgrund des Potenzials auf dem Arbeitsmarkt: dafür wird das Arbeitsmarktpotenzial des oder der Betreffenden im Rahmen eines Punktesystems bewertet. Bei ausreichender Punktezahl erhalten sie die neu kreierte Chancenkarte als Aufenthaltstitel für ein Jahr. Diese Zeit kann zur Suche nach einem Arbeits- oder Ausbildungsplatz sowie zur Probearbeit genutzt werden.

 

Fachkräfte mit anerkannter Berufsausbildung

Durch die Gesetzesreform sind Fachkräfte mit in Deutschland anerkannter Berufsausbildung nicht mehr daran gebunden, dass ihre Arbeitsstelle ihrer Ausbildung entspricht. Sie können hier jede qualifizierte Tätigkeit ausüben. Die Beschränkung auf den Beruf der eigenen Qualifikation entfällt. Eine Physikerin kann beispielsweise auch als Programmiererin eingestellt werden.

Ein Aufenthaltstitel zur Aufnahme von Hilfstätigkeiten oder Arbeiten für Ungelernte ist allerdings nicht möglich. Die Einwanderung für Tätigkeiten im Niedriglohnsektor soll verhindert werden.

 

Änderungen bei der „Blauen Karte EU“

Die Blaue Karte bietet schon seit mehr als 10 Jahren Fachkräften mit akademischem Abschluss die Möglichkeit, nach Deutschland einzuwandern und hier zu arbeiten. Die Gesetzesreform verankert die Blaue Karte nun in einem eigenen Paragrafen des Aufenthaltsgesetzes (§ 18g AufenthG n. F., bisher § 18b Abs. 2 AufenthG a. F.) und erleichtert gleichzeitig die Voraussetzungen:

  • Voraussetzung ist ein konkret angebotener Arbeitsvertrag. Der muss nur noch mindestens sechs und nicht mehr wie bislang zwölf Monate umfassen.
  • Grundsätzlich muss das Gehalt 50 Prozent der Beitragsbemessungsgrenze in der Rentenversicherung betragen. Für 2023 entspricht das 43.800 Euro (siehe nächsten Abschnitt).
  • Bei bestimmten Mangelberufen genügt ein Gehalt in Höhe von 45,3 Prozent der Beitragsbemessungsgrenze (2023: rund 39.700 Euro). Das gilt zum Beispiel für Naturwissenschaftler, Ingenieure, Ärzte, Tierärzte und IT-Fachkräfte.
  • Die niedrigere Gehaltsschwelle gilt außerdem für Bewerber, deren Universitätsabschluss erst drei Jahre oder weniger zurückliegt.
  • Eine dreijährige Ausbildung kann unter bestimmten Voraussetzungen einem Hochschulabschluss gleichwertig sein.
  • Fach- und Führungskräfte in der Informations- und Kommunikationstechnologie können die Blaue Karte auch ohne Universitätsabschluss erhalten, wenn sie mindestens drei Jahre Berufserfahrung sowie besondere Kenntnisse nachweisen. Auch für sie genügt die geringere Gehaltsschwelle. Diese Regelung ermöglicht zum Beispiel fähigen Programmierern ohne Informatikabschluss eine Anstellung in Deutschland.
  • Die Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit ist für Inhaber der Blauen Karte nur dann erforderlich, wenn die niedrigere Gehaltsschwelle gilt.
  • In Zukunft können Inhaber der Blauen Karte leichter den Arbeitsplatz wechseln und ihre Familie nachholen. Außerdem können sie einfacher und früher aus einem anderen EU-Land nach Deutschland ziehen.

 

Neue Gehaltsschwellen

Wichtig ist in vielen Fällen das Entgelt, dass die neuen Arbeitskräfte in Deutschland verdienen: die dafür geltende Brutto-Gehaltsschwelle wurde zukünftig auf die Höhe der halben Beitragsbemessungsgrenze zur Rentenversicherung abgesenkt. Das würde im Jahr 2023 3.650 Euro im Monat beziehungsweise 43.800 Euro im ganzen Jahr entsprechen. Die Beitragsbemessungsgrenzen für 2024 liegen noch nicht vor.

Bei einigen Berufsgruppen sowie bei Akademikern, deren Universitätsabschluss maximal drei Jahre zurückliegt, genügt in Zukunft ein Gehalt von 45,3 Prozent der Beitragsbemessungsgrenze. Das würde 2023 einem Monatsgehalt von etwa 3.300 Euro oder einem Jahresgehalt von rund 39.700 Euro entsprechen.

Entscheidend für die Gehaltsschwelle ist die Beitragsbemessungsgrenze zur gesetzlichen Rentenversicherung für die alten Bundesländer. Bislang musste das Gehalt in den meisten Fällen zwei Drittel dieses Rechenwerts erreichen. Die geltende Gehaltsschwelle müssen potenzielle Arbeitgeber nicht selbst ausrechnen. Das Bundesinnenministerium veröffentlicht sie jeweils für das kommende Jahr.

 

Einwanderung mit mindestens zweijähriger Berufserfahrung

Die Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse hat sich als besonderer Bremsfaktor bei der Einwanderung von Fachkräften erwiesen. Das Verfahren ist aufwändig, langwierig und umständlich. Für viele Betroffene ist es ein großes Problem, Dokumente und Urkunden aus ihrem Herkunftsland zu beschaffen und übersetzen zu lassen. Dazu kommen lange Bearbeitungszeiten bei den deutschen Behörden.

Deshalb eröffnet die neue Reform für Interessenten mit ausländischem Abschluss eine weitere Möglichkeit zur Arbeit in Deutschland: Selbst wenn ihr Studien- oder Berufsabschluss nur im Herkunftsland und nicht in Deutschland anerkannt ist, können sie durch zusätzlich mindestens zwei Jahre an Berufserfahrung die Voraussetzung für einen Aufenthaltstitel in Deutschland schaffen. Das ergibt sich aus einer Änderung der Beschäftigungsordnung (§ 6 BeschV n. F.). Es darf sich dabei nicht um einen reglementierten Beruf handeln. Die zwei Berufsjahre müssen in die letzten fünf Jahre fallen. Die Ausbildungsdauer muss ebenfalls zwei Jahre oder mehr betragen haben.

Außerdem muss dafür das Gehalt mindestens 45 Prozent der Beitragsbemessungsgrenze zur Rentenversicherung erreichen, falls der Arbeitgeber nicht tarifgebunden ist. Das wären für 2023 entsprechend 39.420 Euro beziehungsweise 3.285 Euro monatlich.

Liegt das Gehalt niedriger, lässt sich in Betrieben ohne Tarifbindung auch weiterhin das Anerkennungsverfahren nicht vermeiden. In Zukunft kann es jedoch parallel zum Beruf betrieben werden. Bewerber und Arbeitgeber müssen die Anerkennung oder notwendige Nachqualifizierungen also nicht mehr abwarten, bevor die Tätigkeit aufgenommen wird. Allerdings müssen sich die Fachkraft und der Arbeitgeber in Deutschland im Rahmen einer sogenannten Anerkennungspartnerschaft gemeinsam zur zügigen Abwicklung des Verfahrens einschließlich notwendiger Nachqualifizierungen verpflichten.

Für Beschäftigte im IT-Bereich bestand eine entsprechende Möglichkeit bislang schon, mit strengeren Vorgaben etwa zur Gehaltshöhe. Für sie gelten nun die neuen Regelungen, dazu kommt in ihrem Fall eine besondere Erleichterung: Bei IT-Berufen genügt zweijährige Arbeitserfahrung auch ohne Berufs- oder Hochschulabschluss.

 

Potenziale, Chancenkarte, Punkte: Einwanderung zur Arbeitssuche

Das Punktesystem für Einwanderer mit Potenzial auf dem Arbeitsmarkt ist neu. Es ist auf Fachkräfte beschränkt. Gesetzliche Grundlage sind § 20a und §20 b AufenthG n. F.

Punkte gibt es für Deutschkenntnisse, Englischkenntnisse, berufliche Qualifikation, Alter, praktische Berufserfahrung, legale Voraufenthalte in Deutschland sowie für Lebens- oder Ehepartner, die ebenfalls nach Deutschland kommen.

Wer sechs von zehn möglichen Punkten erhält, bekommt eine Chancenkarte als Aufenthaltstitel und kann damit für ein Jahr zur Arbeitssuche nach Deutschland kommen oder hierbleiben. Der Lebensunterhalt muss allerdings gesichert sein. Die Zeit kann auch zur Anerkennung ausländischer Abschlüsse oder zur Suche nach einem Ausbildungsplatz genutzt werden. Die Chancenkarte kann einmal für maximal zwei Jahre verlängert werden.

In dieser Zeit dürfen Inhaber der Chancenkarte maximal zwanzig Wochenstunden arbeiten oder Probebeschäftigungen von bis zu zwei Wochen absolvieren. Wer eine Stelle oder einen Ausbildungsplatz findet, erhält auf dieser Grundlage dann einen weiterführenden Aufenthaltstitel.

 

„Spurwechsel“ für Menschen, die einen Asylantrag gestellt haben

Eine wichtige Änderung bringt die Gesetzesänderung für Menschen, die als Geflüchtete eingereist sind. Wenn sie einen Job annehmen oder eine Ausbildung beginnen, erhalten sie einen Aufenthaltsstatus unabhängig vom Ausgang des Asylverfahrens. Diese Möglichkeit besteht allerdings nur für Asylbewerber, deren Verfahren bereits am 29. März 2023 lief. Dies ergibt sich aus § 19d AufenthG n. F.

 

Entfristung der Westbalkan-Regelung

Schon in den vergangenen Jahren durften aufgrund einer befristeten Sonderregelung in der Beschäftigungsverordnung Kontingente von Arbeitskräften aus verschiedenen Ländern des Westbalkans in Deutschland arbeiten (§ 26 Abs. 2 BeschV). Eine Berufsausbildung mussten sie dafür nicht nachweisen. Die Regelung gilt für Serbien, Albanien, Bosnien-Herzegowina, Montenegro und den Kosovo. Sie wurde vor allem von Arbeitgebern der Baubranche stark genutzt.

Die Westbalkan-Regelung wurde nun im Zuge der neuen Vorgaben zur Fachkräfteeinwanderung durch eine neue Verordnung entfristet. Außerdem wurde das Kontingent auf nun 50.000 Arbeitskräfte pro Jahr verdoppelt. Die Regelung ermöglicht ein Visum für die Dauer des Arbeitsvertrags, maximal für vier Jahre. Voraussetzung ist eine Beschäftigung zu Tarifbedingungen.

 

Kurzzeitige Beschäftigungen von Arbeitskräften ohne Qualifikation

Ähnlich wie bei der Saisonarbeit dürfen in Zukunft Arbeitskräfte ohne Nachweis einer Qualifikation zur kurzzeitigen Beschäftigung nach Deutschland einreisen. Es genügt eine Arbeitserlaubnis der Bundesagentur für Arbeit, die entsprechende Kontingente für bestimmte Branchen festlegt. Ein Visum ist nicht erforderlich (§ 4a Abs. 4 AufenthG n. F. i. V. m. § 15d BeschV n. F.). Die Möglichkeit zur „kontingentierten kurzzeitigen Beschäftigung“ ist je nach Herkunftsland auf Arbeitseinsätze von bis zu 90 Tagen beschränkt (bei Staaten des Anhangs I zur Verordnung (EU) 2018/1806).  

Die Arbeitgeber müssen tarifgebunden sein und die Reisekosten übernehmen. Außerdem dürfen sie nur während maximal zehn Monaten in einem Zwölfmonatszeitraum auf Kontingentbeschäftigte zurückgreifen. Eine sozialversicherungsfreie Beschäftigung analog zur kurzfristigen geringfügigen Beschäftigung ist ausgeschlossen. Das stellt der neu eingefügte § 8 Abs. 2a SGB IV n. F. sicher.

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