Mindestlohn 2017 – Teil 1: Berechnungsfragen

Dezember 2016 - Zwei Jahre nach Einführung des Mindestlohns wird dieser zum 1. Januar 2017 auf 8,84 Euro pro Arbeitsstunde angehoben. Höchste Zeit, die entsprechenden Arbeitsverträge anzupassen und sich erneut mit dem Thema zu beschäftigen. Schließlich wurden in den vergangenen 24 Monaten zahlreiche Aspekte der konkreten Anwendung des Mindestlohngesetzes auch gerichtlich geklärt.

Ein flächendeckender, branchenunabhängiger Mindestlohn von 8,50 Euro pro Arbeitsstunde gilt in Deutschland seit dem 01.01.2015. Zum 01.Januar 2017 wird er auf 8,84 Euro angehoben.

Es gibt nur recht wenige Ausnahmen für diesen Rechtsanspruch – dafür jedoch mehr als genug Grenz- und Zweifelsfälle. Wir wollen durch zwei Beiträge diese Unsicherheiten soweit wie möglich ausräumen.

In diesem Teil geht es vor allem um die korrekte Berechnung des Mindestlohnanspruchs.
In der nächsten Ausgabe werden wir uns unter anderem damit befassen, wer Anspruch auf Mindestlohn hat und wer nicht.

Rechtsgrundlage

Ein verbindlicher Mindestlohn folgt aus dem Mindestlohngesetz (MiLoG). Zusätzlich kann er sich auch aus anderen Vorschriften ergeben wie der ministeriellen Allgemeinverbindlicherklärung eines Tarifvertrags sowie Verordnungen nach dem Arbeitnehmerentsendegesetz (AEntG) oder nach dem Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (Lohnuntergrenze gemäß AÜG).

  • Der Mindestlohn ist ein eigenständiger gesetzlicher Anspruch des Arbeitnehmers. Wenn arbeits- oder tarifvertragliche Vereinbarungen ein höheres Mindestentgelt vorsehen, gehen diese Ansprüche dem gesetzlichen Mindestlohnanspruch jedoch vor (BAG, 25.05.2016 – 5 AZR 135/15).
  • Auch nach unten gibt es zum 31. Dezember 2016 Ausnahmen: Für allgemeinverbindlich erklärte, tarifvertragliche Regelungen unter dem gesetzlichen Mindestlohn behalten bis dahin noch Geltung. Ab 01.01.2017 muss auch in solchen Fällen mindestens 8.50 Euro pro Stunde bezahlt werden, in Branchen wie dem Gartenbau gilt beispielsweise von Januar bis Oktober 2017 noch ein Mindestlohn von 8,60 Euro. Spätestens ab dem 1. Januar 2018 gibt es dann keine Ausnahmen mehr, es gilt der allgemeine gesetzliche Mindestlohn unabhängig von Branchentarifverträgen.

Eine Mindestlohn-Verzichtserklärung des Arbeitnehmers widerspricht § 3 MiLoG und ist unwirksam. Er kann den Differenzbetrag also trotz einer solchen Vereinbarung nachfordern (BAG, 25.05.2016 – 5 AZR 135/16).

Die Folgen von Verstößen

Neben der Lohnnachforderung des Arbeitnehmers muss das Unternehmen mit einer Geldbuße rechnen, die theoretisch bis zu fünfhunderttausend Euro erreichen kann. In der Regel richtet sich die Höhe der Geldbuße nach dem nicht gezahlten Mindestlohn (x 2) zuzüglich einem Aufschlag von 30 %.

Außerdem werden die Sozialversicherungsträger Nachforderungen stellen und auf Basis des Mindestlohns kalkulierte Arbeitnehmer- und Arbeitgeberanteile verlangen. Der Arbeitgeber haftet für beide Anteile, er wird sich die Arbeitnehmeranteile nur selten vom Mitarbeiter zurückholen können.

Wann ist der Mindestlohn fällig?

Bezahlt werden muss der Mindestlohn – natürlich nur für die tatsächlich erbrachten Arbeitsstunden – zu dem Zeitpunkt, der vertraglich vereinbart worden ist, spätestens jedoch am letzten Bankarbeitstag des Folgemonats. Wenn die Arbeitsstunden im Januar geleistet wurden, ist der Mindestlohn am letzten Bankarbeitstag des Februars zu bezahlen. (Bankarbeitstage sind alle Wochentage außer Samstag und ohne den 24. und 31. Dezember.)

Monatsstundenzahl beim verstetigten Arbeitsentgelt

Die Zahl der Arbeitsstunden variiert pro Monat variiert. Monate wie der Juni mit 23 Arbeitstagen führen bei strikter Bezahlungen pro Stunde zu einer höheren Monatsvergütung als etwa der Februar mit nur 20 Arbeitstagen. Das sogenannte verstetigte Arbeitsentgelt macht es möglich, dass der Arbeitgeber dennoch einen gleichbleibenden Monatslohn auszahlen kann, ohne die Mindestlohnvorschriften zu verletzen. Das Verfahren muss ebenso wie das dafür notwendige Arbeitszeitkonto schriftlich mit dem Arbeitnehmer vereinbart werden.

Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BAMS) hat ein Berechnungsmodell für ein verstetigtes monatliches Bruttogehalt entwickelt. Dabei wird der Monat mit 4,33 Wochen gerechnet. Geht man von einer 40-Stunden-Woche aus, ergeben sich 40 x 4,33 = 173,3 Stunden und die Formel:

8,84 Euro/Stunde x 173,3 Stunden = 1.532 Euro pro Monat

Das verstetigte Arbeitsentgelt führt in kurzen Monaten wie dem Februar zu Überzahlungen und in langen wie dem Juli zu Unterzahlungen. Über das gesamte Jahr hinweg wird jedoch ein Arbeitsentgelt von mindestens 8,84 Euro je Stunden erreicht.

Auch der Betriebsprüfdienst der Rentenversicherung Bund (DRV) akzeptiert eine verstetigte Bruttoentgeltzahlung, solange die Monatsarbeitszeit der Formel (Wöchentliche Arbeitszeit x 13) : 3 entspricht:

(40 Stunden x 13) : 3 = 173,3 Stunden

Abweichungen von dieser Formel ergeben sich allerdings im Steuerrecht. Hier wird der Monat mit 4,35 Wochen gerechnet, sodass man bei 40 Wochenstunden auf 174 Stunden pro Monat kommt. Da die Lohnsteuer anhand des tatsächlich gezahlten Lohns zu berechnen ist, sollte diese Abweichung jedoch ohne praktischen Belang sein.

Welche Vergütungsbestandteile werden in den Mindestlohn eingerechnet?

Der Mindestlohn ist ein Zeitlohn. Entscheidend ist also, ob – ab 2017 – 8,84 Euro pro Zeitstunde (60 Minuten) erreicht werden.

Im Gesetzestext selbst steht nicht explizit, welche Vergütungsbestandteile bei der Berechnung des Mindestlohns einbezogen werden können. Erst allmählich schafft hier die Rechtsprechung etwas Klarheit. So hat das LAG Hamm allgemeine Kriterien dafür genannt, ob Entgeltbestandteile bei der Mindestlohnberechnung berücksichtigt werden können (22.04.2016 – 16 Sa 1627/15). Dafür muss ihre Funktion muss darin bestehen,

  • „die vom Arbeitnehmer erbrachte Arbeitsleistung zu vergüten“, sie müssen eine „unmittelbare [ … ] Gegenleistung für die erbrachte Arbeitsleistung“ sein,
  • sie müssen außerdem „im gesetzlichen Fälligkeitszeitraum nach § 2 Abs. 1 MiLoG“ bezahlt werden und
  • „dem Bestreiten des Lebensunterhalts des Arbeitnehmers“ dienen.
  • Nicht anrechnungsfähig sind dagegen Entgeltbestandteile, „die anderen Zwecken als der unmittelbaren Gegenleistung für die vom Arbeitnehmer geleistete Arbeit dienen“

Stück- und Akkordlöhne könne mit eingerechnet werden, da sie ihrem Zweck nach genau wie Zeitlöhne Arbeitsleistung entgelten sollen und damit „funktional gleichwertig“ sind. (LAG Hamm, 22.04.2016 – 16 Sa 1627/15).

Boni, Prämien und Provisionen werden häufig erst lange nach Fälligkeit des Mindestlohns ausgezahlt und vergüten nicht die reguläre, sondern eine besondere Arbeitsleistung. In diesem Fall sind sie wohl nicht anrechenbar. Andererseits kann ein monatlich bezahlter Leistungsbonus durchaus Entgeltcharakter haben und einen unmittelbaren Bezug zur Arbeitsleitung aufweisen, so dass er in die Mindestlohnberechnung einfließen kann (ArbG Düsseldorf, 20.4.2015 – 5 Ca 1675/15). Ein pauschales Urteil ist also kaum möglich.

Urlaubsgeld und Sonderzahlungen: Auch bei Einmalzahlungen ist die Situation nach wie vor unübersichtlich. Im Mai 2016 entschied das Bundesarbeitsgericht, dass der Arbeitgeber das jährliche Urlaubs- und Weihnachtsgeld in monatliche Zwölftel aufgeteilt auszahlen und dann auch in den Mindestlohn einrechnen kann (BAG, 25.05.2016 – 5 AZR 135/16). Auch diese Sonderzahlungen seien eine Gegenleistung für geleistete Arbeit – das war für die Richter entscheidend.

Dagegen entschied das Arbeitsgericht Berlin (04.03.2015 – 54 Ca 14420/14), dass ein als Einmalzahlung am Jahresende überwiesenes Urlaubsgeld nicht auf den Mindestlohn anrechenbar sei. Es werde nicht für die übliche Leistung des Arbeitnehmers gezahlt – und außerdem lange nach dem Fälligkeitszeitpunkt für den Mindestlohn.

Zuschläge und Zulagen: Zuschläge für Mehrarbeit, für Sonntags-, Feiertags-, Nacht- oder Schichtarbeit dürfen ebenso wie Gefahren-, Schmutz- und andere Zulagen ebenfalls nicht in die Mindestlohnberechnung einfließen. Das gilt sowohl für gesetzlich vorgegebene Zahlungen wie Nachtzuschläge (BAG, 25.05.2016 – 5 AZR 135/16) als auch für tariflich oder im individuellen Arbeitsvertrag vereinbarte Zuschläge wie etwa Feiertagszuschläge, bei denen es sich um einen besonderen Ausgleich für die Arbeit handelt.

Übrigens muss nach einem Urteil des LArbG Berlin-Brandenburg (04.02.2016 – 18 Sa 1845/15) der Nachtarbeitszuschlag auch dann auf Basis des gesetzlichen Mindestlohns berechnet werden, wenn es sich laut Arbeitsvertrag um den Prozentwert eines vereinbarten, niedrigeren Stundenlohns handelt.

Vermögenswirksame Leistungen vergüten keine Leistung und sind deshalb nicht anrechnungsfähig (LAG Hamm 22.04.2016 – 16 Sa 1627/15 sowie 16 Sa 1668/15). Zur gleichen Auffassung war das Bundesarbeitsgericht gelangt, als es um die Anrechnung von Leistungen auf den Branchenmindestlohn in der Abfallwirtschaft ging (16.04.2014 – 4 AZR 802/11).

Trinkgelder sind keine Entlohnung und dürfen daher auf den gesetzlichen Mindestlohn nicht angerechnet werden.

Darf Kost und Logis vom Mindestlohn abgezogen werden?

Auch in diesem Punkt bestehen erhebliche Unsicherheiten. Grundsätzlich gilt, dass auch Arbeitnehmer, denen Kost und Logis gewährt wird, einen Anspruch auf den Mindestlohn haben.

Auf der Internetseite des Zolls heißt es im Kapitel „Mindestlohn“: „Für Saisonarbeiter wird die Anrechnung von Kost und Logis nach § 107 Abs. 2 Gewerbeordnung (GewO) auf den gesetzlichen Mindestlohn zugelassen.“ Im Gesetz wird als Voraussetzung für die Anrechnung eine Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer vorgeschrieben, außerdem muss dies „dem Interesse des Arbeitnehmers oder der Eigenart des Arbeitsverhältnisses“ entsprechen. Bei Saisonkräften im Ernteeinsatz oder in touristischen Einrichtungen wie Biergärten oder Skihütten kann man wohl davon ausgehen, dass Kost und Logis abgezogen werden dürfen. Allerdings darf die Anrechnung nicht über der individuellen Pfändungsgrenze liegen.

Was zählt als Arbeitszeit im Sinne des MiLoG?

Der Mindestlohn gilt außer für die Vollarbeit, also jene Zeiten, in denen der Arbeitnehmer tatsächlich arbeitet, auch für sogenannte Rüstzeiten (wie das Hochfahren von elektronischen Geräten oder das Anfahren von Maschinen).

Der Bereitschaftsdienst gehört ebenfalls ganz eindeutig zur vergütungspflichtigen Arbeitszeit, für die Mindestlohn gezahlt werden muss. Das hat auch das Bundesarbeitsgericht bestätigt (BAG, 29.06.2016 – 5 AZR 716/15). Anders sieht es bei der Rufbereitschaft aus. Sie erfordert keine Anwesenheit am Arbeitsplatz oder in dessen Nähe und zählt nicht als Arbeitszeit, so dass für diese Zeiten nicht zwingend der Mindestlohn gezahlt werden muss.

In Bezug auf Wegezeiten kann man von den allgemeinen arbeitsrechtlichen Regeln ausgehen: Für die Fahrtzeit zwischen Wohnung und Arbeitsplatz besteht kein Anspruch auf Entgelt und damit auch nicht auf Mindestlohn. Wegstrecken zwischen verschiedenen Kunden oder zwischen Kunden und Arbeitsplatz gelten dagegen grundsätzlich als mindestlohnpflichtige Arbeitszeit.

Sonderfall: Bereitschaftsdienst im Pflegebereich

Im Pflegebereich ergeben sich Besonderheiten durch die Zweite Verordnung über zwingende Arbeitsbedingungen in der Pflegebranche (2. PflegeArbbV). Sie bezieht sich auf Pflegebetriebe sowie Betriebsabteilungen, die überwiegend ambulante, teilstationäre oder stationäre Pflegeleistungen oder ambulante Krankenpflegeleistungen erbringen.

Dort ist auch für Bereitschaftsdienstzeiten Mindestentgelt zu bezahlen, wenn diese außerhalb der regulären Arbeitszeit liegen und nicht mindestens 75 Prozent der Zeit ohne Arbeitsleistung verbracht werden kann. Fällt also in mehr als 25 Prozent der Bereitschaftszeit Arbeit an, muss für die über dieser Schwelle liegende Tätigkeitszeit das Mindestentgelt gezahlt werden. Weitere Besonderheiten gelten für die Fälligkeit der Vergütung sowie für Arbeitszeitkonten.

Kategorie

Steuern, Bescheinigungen und Rechtliches

Themen:

Gesetze Lohn und Gehalt

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