10 Jan 2022

Unfall auf dem Weg zum Schreibtisch: Die gesetzliche Unfallversicherung und das Home-Office

Wenn ein Arbeitnehmer im Home-Office auf dem direkten Weg zwischen Schlafzimmer und häuslichem Arbeitszimmer stürzt, muss die gesetzliche Unfallversicherung zahlen. Diese Entscheidung des Bundessozialgerichts sorgt ebenso wie eine Gesetzesänderung im letzten Jahr für mehr Klarheit. Ganz unkompliziert ist das Thema „Unfallversicherung im Home-Office“ trotzdem nicht.

Wirbelbruch zwischen Bett und Schreibtisch

Den Fall, über den das Bundesozialgericht im Dezember letzten Jahres entscheiden musste, nahmen manche Medien zum Anlass für sarkastische Kommentare. Für den Betroffenen selbst war die Sache allerdings wenig lustig: Er war Außendienstler und erledigte einen Teil seiner Arbeit im Home-Office. Eines Morgens wollte er direkt vom Schlafzimmer an den Schreibtisch im häuslichen Büro. Dabei rutschte er auf der Treppe aus und stürzte. Der Trümmerbruch eines Brustwirbels war die Folge, außerdem verlor er das Bewusstsein.

Die zuständige Berufsgenossenschaft Handel und Warenlogistik (BGHW) wollte die Behandlungs- und Reha-Kosten nicht übernehmen. Das wär ärgerlich für den Verunfallten. Zu den Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung gehören Verletztengeld, eine Verletztenrente und Reha-Leistungen, die die von den gesetzlichen Krankenkassen finanzierten Maßnahmen deutlich übersteigen.

Der Mann klagte. Er gewann zunächst vor dem Sozialgericht Aachen, unterlag jedoch in der Berufung vor dem Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen. In der Revision vor dem Bundessozialgericht in Kassel fiel die Entscheidung dann zu seinen Gunsten aus.

 

Auch im häuslichen Bereich gibt es Betriebswege

Den direkten Gang aus dem Schlafzimmer im ersten Stock über die Treppe zum Schreibtisch im Erdgeschoss ordnete das BSG als Betriebsweg ein, der im „unmittelbaren Unternehmensinteresse“ zurückgelegt wurde und damit in einem „sachlichen Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit“ stand. Anders gesagt: war der Mann war auf der häuslichen Wendeltreppe versichert. Auch im Home-Office entscheidet demnach die „objektivierte Handlungstendenz“ des Unfallopfers: Ausschlaggebend ist, ob der Betreffende im Moment des Unfalls eine dem Unternehmen dienende Tätigkeit ausüben wollte.

Die BGHW hatte argumentiert, der Unfallversicherungsschutz beginne erst mit dem Betreten des häuslichen Arbeitszimmers. Der Weg dorthin sei nur eine „Vorbereitungshandlung“.

 

Gesetzesänderung: Versicherungsschutz schließt Home-Office grundsätzlich ein

Der Wirbelbruch des Arbeitnehmers hatte sich bereits 2018 ereignet. Im Juni 2021 wurden die Regelungen im siebten Sozialgesetzbuch zu Arbeitsunfällen um eine Klarstellung ergänzt. § 8 Abs. 1 S. 3 SGB VII besagt nun: „Wird die versicherte Tätigkeit im Haushalt der Versicherten oder an einem anderen Ort ausgeübt, besteht Versicherungsschutz in gleichem Umfang wie bei Ausübung der Tätigkeit auf der Unternehmensstätte.“

  • Mittlerweile ist also gesetzlich verankert, dass im Home-Office ein gleicher Anspruch auf Unfallversicherungsschutz wie am Arbeitsplatz im Betrieb besteht.
  • Außerdem ist seither für Arbeitnehmer im Home-Office der Weg von und zum Kindergarten explizit mitversichert (Abs. 2 Nr. 2a). Gleiches galt vorher nur für den Umweg zur Kita auf dem Weg ins oder vom Büro.

Diese Regelungen sind wichtig in Pandemie-Zeiten. Zwar entschieden die Sozialgerichte auch vorher schon, dass im Home-Office ebenfalls Unfallschutz besteht. Sie bewerteten manche Wege im Haushalt jedoch anders als solche im Betrieb. So hatte das BSG 2016 die Ansprüche einer Arbeitnehmerin im Home-Office abgelehnt, die sich vom heimischen Schreibtisch aus ein Getränk aus der Küche holen wollte und auf der Treppe ein Bein brach. Im Büro wäre sie auf dem entsprechenden Weg versichert gewesen (BSR, 5.07.2016 - B 2 U 5/15 R).

 

Arbeitswege und Unfallversicherungsschutz: es bleibt kompliziert

Die Unfallversicherung auf dem Weg von und zur Arbeit bleibt ein kompliziertes Thema. Das gilt auch in den eigenen vier Wänden. Schließlich ist der Schutz auf den „unmittelbaren“ Weg beschränkt. Nach ständiger Rechtsprechung der Sozialgerichte erlischt der Versicherungsanspruch, wenn man auf dem Weg zur Arbeit noch schnell beim Bäcker halt macht oder auf dem Rückweg beim Supermarkt stoppt. Selbst ein falsches Abbiegen kann dazu führen, dass die Berufsgenossenschaft nicht zahlt. Ein Zwischenstopp zum Tanken ist dagegen kein Problem.

Aufs Home-Office übertragen: Der Weg über die Treppe war nur deshalb versichert, weil der Mann direkt ans Arbeiten gehen wollte, ohne sich vorher in der Küche einen Kaffee zu holen. Die Sozialgerichte werden wohl noch einige Detailfragen zum Unfallversicherungsschutz im Home-Office klären müssen.

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