19 Jul 2021

EuGH: Deutsche Sozialversicherung, wenn Mitarbeiter eines EU-Verleihers vorwiegend hier arbeiten

Wenn ein bulgarischer Personaldienstleister bulgarische Leiharbeitnehmer fast ausschließlich zum Einsatz in Deutschland rekrutiert, dann gilt für sie das deutsche Sozialversicherungsrecht. Das hat der Europäische Gerichtshof entschieden. Die EuGH-Entscheidung ist auch für deutsche Entleiher brisant: Sie haften im Zweifel für die Sozialversicherungsbeiträge.

Günstiges Sozialversicherungsrechts durch Sitz der Leiharbeitsfirma bestimmen?

Gilt das bulgarische Sozialversicherungsrecht, wenn bulgarische Mitarbeiter von einem bulgarischen Personaldienstleister nach Deutschland verliehen werden? Die Antwort hängt davon ab, ob das Unternehmen sich auf die grenzüberschreitende Überlassung in andere EU-Staaten konzentriert, oder ob er auch bulgarische Unternehmen mit Personal auf Zeit versorgt.

Wird beispielsweise in erster Linie der Arbeitsmarkt eines anderen EU-Staats bedient, fallen für die dorthin überlassenen Arbeitnehmer Sozialversicherungsbeiträge nach dort geltendem Recht an. Beim Arbeitnehmerverleih vorwiegend nach Deutschland müssen also deutsche und nicht bulgarische Sozialversicherungsbeiträge abgeführt werden. Das hat der EuGH vor kurzem entschieden (EuGH, 03. 06.2021 - C-784/19).

 

 

A1-Bescheinigung für Leiharbeitnehmer verweigert

Der Konflikt entstand, als die zuständige bulgarische Verwaltung keine A1-Bescheinigung für einen Bulgaren ausstellen wollte, der von einer bulgarischen Leiharbeitsfirma für zweieinhalb Monate an einen deutschen Betrieb vermittelt worden war.

 Die A1-Bescheinigung ist immer dann notwendig, wenn Arbeitskräfte aus einem EU-Land beruflich in einem anderen EU-Land zu tun haben, dort aber nicht sozialversicherungspflichtig werden sollen. Sie dient als Nachweis, dass der oder die Betreffende in seinem EU-Land sozialversichert ist und das auch bleibt. Eine A1-Bescheinigung setzt allerdings voraus, dass der Arbeitgeber des Mitarbeiters „gewöhnlich dort tätig“ ist, wo der Mitarbeiter herkommt. Nur dann gilt das Sozialversicherungsrecht des betreffenden Landes trotz einer Entsendung bzw. Überlassung in einen anderen EU-Staat, und zwar für maximal 24 Monate.

 

 

Sind EU-Leiharbeitsfirmen „gewöhnlich im EU-Ausland tätig“, wenn alle Leiharbeitnehmer in Deutschland arbeiten?

Für die bulgarische Verwaltung übte der Personaldienstleistung in Bulgarien nur „reine interne Verwaltungstätigkeiten“ aus. Die Verleihfirma klagte, als ihrem Mitarbeiter deshalb für den Einsatz in Deutschland die bulgarische A1-Bescheinigung verweigert wurde. Das bulgarische Verwaltungsgericht legte die Sache zur Vorabentscheidung dem EuGH vor.

Die entscheidende Frage war: Übt ein Verleihunternehmen eine „nennenswerte Tätigkeit“ in Bulgarien aus, obwohl es dort nur Personal auswählt und einstellt, das dann in andere EU-Mitgliedsländer verliehen wird?

 

 

EuGH will verhindern, dass Entleiher die „billigsten“ Sozialversicherungssysteme wählen

Der EuGH verwies auf den Ausnahmecharakter der Regelung, dass Arbeitnehmer unter bestimmten Voraussetzungen im eigenen Land sozialversichert bleiben können, obwohl sie in einem anderen EU-Staat arbeiten. Dieser Vorteil soll keinen Dienstleistern zugutekommen, die vor allem andere EU-Staaten mit Leiharbeitnehmern versorgen. Sonst könnte ein Anreiz entstehen, sich jeweils im Mitgliedsland mit den niedrigsten Sozialversicherungskosten niederzulassen – „forum shopping“ nannte dies der EuGH. Außerdem entstünde eine Wettbewerbsverzerrung zwischen – im vorliegenden Fall – Leiharbeitnehmern aus Bulgarien und in Deutschland ansässigen Arbeitskräften.

 

 

Konsequenzen für deutsche Entleiher

Die Entscheidung ist auch für deutsche Entleiher relevant. Selbst wenn die überlassenen Arbeitnehmer eine A1-Bescheinigung vorlegen, muss sichergestellt sein, dass der Verleihbetrieb Anspruch darauf hat und im Herkunftsland nicht nur das Recruiting abwickelt.

Die Sozialversicherungspflicht hängt damit von den Gegebenheiten in einem anderen Land und einem anderen Unternehmen ab. Damit steigt die Rechtsunsicherheit für deutsche Entleiher. Schließlich haftet sie gesamtschuldnersicht dafür mit, dass der Verleiher die Sozialversicherungsbeiträge korrekt abführt. Sind die Leiharbeitnehmer tatsächlich in Deutschland sozialversicherungspflichtig, weil der Dienstleister im eigenen Land keine Mitarbeiter verleiht, dann können sich die Einzugsstellen der Sozialversicherung mit ihren Beitragsforderungen an den deutschen Kunden halten.

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