Kündigung und Krankmeldung parallel: Anspruch auf Entgeltfortzahlung erschüttert

Der Mitarbeiter kündigt und meldet sich gleichzeitig bis zum Ausscheiden aus dem Unternehmen krank? Dann ist der „Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschüttert“. Der Arbeitgeber kann die Lohnfortzahlung verweigern, falls der ausscheidende Mitarbeiter seine Arbeitsunfähigkeit nicht auf andere Art beweist.

Kündigen und krankmelden unisono? Dann steht die Lohnfortzahlung auf der Kippe

Ob auf Papier oder elektronisch als eAU: eine ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung hat einen hohen Beweiswert. Selbst wenn der Arbeitgeber skeptisch ist, bleibt ihm in der Regel nur, für bis zu sechs Wochen das Entgelt fortzuzahlen.

Das gilt aber nicht stets und unter allen Umständen. Schon 2021 hat das Bundesarbeitsgericht entschieden, dass die ärztliche Krankschreibung in ihrem Beweiswert „erschüttert“ ist, wenn sie auffällig passgenau mit einer Eigenkündigung zusammenfällt und die Lohnfortzahlung sich genau mit der Kündigungsfrist deckt. Dann steht der Verdacht im Raum, dass es nur darum ging, auch ohne weiteres Erscheinen am Arbeitsplatz den Lohn oder das Gehalt bis zum Ausscheiden zu beziehen.

Diese BAG-Rechtsprechung wurde vom Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein vor kurzem auch auf einen Fall angewandt, in dem die Mitarbeiterin die Kündigungsfrist nach einer Eigenkündigung mit mehreren aufeinanderfolgenden AU-Bescheinigungen überbrückt hatte.

 

Forderung nach Lohnfortzahlung scheitert vor Gericht

  • Vor dem BAG ging es um die Krankmeldung einer kaufmännischen Angestellten, die nach etwa einem halben Jahr bei ihrer Zeitarbeitsfirma gekündigt und sich gleichzeitig für die verbleibenden zwei Wochen krankgemeldet hatte. Die Richter waren von der Diagnose „sonstige und nicht näher bezeichnete Bauchschmerzen“ nicht überzeugt und bestätigten, dass die Frau keinen Anspruch auf Lohnfortzahlung hatte (BAG, 08.09.2021 - 5 AZR 149/21).
  • Der Fall in Schleswig-Holstein betraf eine Pflegehelferin, die dem Arbeitgeber ein Kündigungsschreiben und eine auf den gleichen Tag datierte AU-Bescheinigung zukommen ließ. Weitere Krankschreibungen folgten, die bis zum Ende der Kündigungsfrist reichten. Auch die Zeugenaussage ihres Arztes konnte Lohnfortzahlungsanspruch der Arbeitnehmerin nicht retten. Der Mediziner gab vor dem Arbeitsgericht an, die Frau krankgeschrieben zu haben, um eine Ansteckungsgefahr in der Pflegeeinrichtung auszuschließen. Eine eindeutige Bestätigung der Krankheit ergab seine Aussage nicht. Auch dieser Frau wurde vom Landesarbeitsgericht der Anspruch auf Lohnfortzahlung abgesprochen (LAG Schleswig-Holstein, 02.05.2023 - 2 Sa 203/22).

 

Kein Automatismus – aber „Zweifel an der Erkrankung des Arbeitnehmers“

Aus dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts, dessen Grundsätze vom Kieler Landesarbeitsgericht übernommen wurden, folgt kein Automatismus: Arbeitgeber können nicht einfach in jedem Fall die Lohnfortzahlung verweigern, wenn Kündigung und Krankschreibung gemeinsam eintrudeln. Aber das Zusammenfallen sorgt dafür, dass der in der Regel sehr hohe Beweiswert der ärztlichen AU-Bescheinigung verloren geht.

Es ist Sache des Arbeitnehmers, seine Arbeitsunfähigkeit nachzuweisen, damit er Lohnfortzahlung beanspruchen kann. Als Beweis genügt in aller Regel die ärztliche Krankschreibung. Selbst wenn der Arbeitgeber oder die Kollegen an der Krankheit zweifeln, ändert das nichts an der Entgeltfortzahlungspflicht.

Die Rechtslage ändert sich jedoch, wenn konkrete Umstände die Arbeitsunfähigkeit in Zweifel ziehen. Es genügt, wenn der Arbeitgeber solche Zweifel plausibel machen kann. Einen unumstößlichen Beweis muss er nicht vorlegen.

Falls der Arbeitgeber berechtigte Zweifel an der AU-Bescheinigung vorbringt, muss der Arbeitnehmer sein Kranksein auf andere Art beweisen. Dazu gehört in der Regel eine genaue Schilderung der Symptome und eine Freistellung des Arztes von der Schweigepflicht. Kann der Mitarbeiter seine Arbeitsunfähigkeit nicht nachweisen, hat er auch keinen Anspruch auf Fortzahlung des Gehalts.

 

Zweifel an der Krankschreibung

Zwei Beispiele solche „tatsächlicher Umstände“, die Zweifel an der Krankschreibung begründen, finden sich im Gesetz (§ 275 Abs. 1a SGB V): Mitarbeiter die „auffällig häufig nur für kurze Dauer“ oder nur „am Beginn oder am Ende einer Woche“ krank werden, und solche, bei denen der Arzt „durch die Häufigkeit der von ihm ausgestellten Bescheinigungen über Arbeitsunfähigkeit“ auffällt.

Das berechtigt den Arbeitgeber, sich an den medizinischen Dienst der Krankenkassen zu wenden und eine Prüfung zu veranlassen. Oder er kann die Lohnfortzahlung verweigern und darauf vertrauen, dass der oder die Beschäftigte ihr Kranksein vor dem Arbeitsgericht nicht beweisen können.

In den gleichen Rang wie die gerade genannten Umstände hat das Bundesarbeitsgericht die Krankmeldung parallel zur Eigenkündigung gesetzt. Der Arbeitgeber kann in diesem Fall die Lohnfortzahlung streichen, wenn er sicher ist, dass die angebliche Krankheit nur vorgespiegelt ist. In vielen Fällen werden Arbeitnehmer es gar nicht erst unternehmen, die entgangenen Zahlungen vor dem Arbeitsgericht einzuklagen. Tun sie es doch, müssen sie ihre Beschwerden eindeutig belegen können – ohne Verweis auf die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung.

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Lohn- und Gehaltsabrechnung

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Beschäftigung Lohn und Gehalt Kündigung

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