Entgeltfortzahlung - Anspruch und Voraussetzung
August 2017 - Arbeitsunfähig erkrankte Mitarbeiter haben in der Regel Anspruch darauf, dass Ihre Vergütung sechs Wochen lang vom Arbeitgeber weiter ausgezahlt wird. Wir klären die rechtlichen Grundlagen und erklären, was bei der Lohnabrechnung zu beachten ist.

Dass ein kranker oder verletzter Arbeitnehmer einen sicheren Anspruch darauf hat, seinen Arbeitslohn weiter ausbezahlt zu bekommen, war nicht immer so selbstverständlich wie heute. Eine einheitliche gesetzliche Grundlage gibt es dafür erst seit 1994. Seither ist der Anspruch auf Lohnfortzahlung (Entgeltfortzahlung) in einem eigenen Gesetz geregelt, dem Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG).
Die Voraussetzungen
- Das EFZG gibt einem Arbeitnehmer Anspruch auf Lohnfortzahlung für die Dauer von sechs Wochen. Dafür gelten drei Voraussetzungen:
- Er muss aufgrund einer Krankheit daran gehindert sein, seine Arbeitsleistung zu erbringen,
- Ihn darf kein eigenes Verschulden daran treffen.
- Das Arbeitsverhältnis muss mindestens seit vier Wochen bestehen.
In Bezug auf die Entgeltfortzahlung sind Arbeiter, Angestellte und Auszubildende gleichgestellt. Auch für Minijobber gibt es keine Abweichungen. Eine Ausnahme besteht lediglich für Heimarbeiter.
Unterschiede zwischen den alten und neuen Bundesländern bestehen keine.
In Tarifverträgen oder im Arbeitsvertrag können von den gesetzlichen Vorgaben abweichende Regelungen getroffen werden. Diese müssen jedoch für den Arbeitnehmer günstiger sein.
Eine in der Praxis oft entscheidende Frage: Liegt tatsächlich eine Arbeitsunfähigkeit vor? Dazu lesen Sie weiter unten Genaueres.
Die Sechs-Wochen-Frist
Wer arbeitsunfähig krank ist oder sich in einem Krankenhaus, einer Vorsorge- oder Reha-Einrichtung befindet, der hat Anspruch auf 6 Wochen Entgeltfortzahlung. Das entspricht 42 fortlaufenden Kalendertagen. Die Anzahl der Arbeitstage sowie Sonn- oder Feiertage bleiben dabei unberücksichtigt. Der Anspruch auf Lohnfortzahlung endet mit Ablauf des 42. Kalendertags, selbst wenn die Arbeitsunfähigkeit weiterbesteht.
Grundsätzlich gilt: Verlässt der Arbeitnehmer seinen Arbeitsplatz wegen Erkrankung, beginnt die Frist erst am Folgetag zu laufen. Meldet sich der Arbeitnehmer bereits vor dem Arbeitsantritt krank, ist dieser Tag für den Anspruchszeitraum bereits mitzurechnen.
Die Höhe der Entgeltfortzahlung
Die Höhe der Entgeltfortzahlung entspricht dem, was der Arbeitnehmer an Lohn oder Gehalt erhalten hätte, wäre er nicht arbeitsunfähig geworden. Fällt in diese Zeit eine Tariferhöhung, dann muss diese berücksichtigt werden. Tarifverträge legen allerdings häufig einen Durchschnittsverdienst fest. Bei der Fortzahlung sind außerdem Zuschläge (Gefahren-, Erschwernis-, Nacht-, Sonntags- oder Feiertagszuschläge) sowie vermögenswirksame Leistungen zu berücksichtigen, falls diese vom Arbeitgeber gewährt worden sind.
Leisten Arbeitnehmer regelmäßig Überstunden über die tarifliche oder betriebliche Arbeitszeit hinaus, dann müssen auch diese berücksichtigt werden. Das hat ein Urteil des Bundesarbeitsgerichts festgelegt (21.11.2001 – 5 AZR 457/00). In diesem Fall muss die regelmäßige Arbeitszeit anhand des Durchschnitts für einen Referenzzeitraum von 12 Monaten vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit errechnet werden.
Dagegen werden Auslagenersatz, Fahrtkostenzuschüsse oder Schmutzzulagen nicht berücksichtigt.
Bei Kurzarbeit verringert sich die Lohnfortzahlung auf den Kurzlohn (§ 4 Abs. 3 EFZG).
Lohnsteuer und Sozialversicherung bei Entgeltfortzahlung
Der im Rahmen der Entgeltfortzahlung gezahlte Lohn wird in Bezug auf Lohnsteuer und die Sozialversicherung nicht anders behandelt als üblicher Arbeitslohn – mit einer wichtigen Ausnahme:
Wenn Zuschläge für Sonntags-, Feiertags- oder Nachtarbeit in die Entgeltfortzahlung einfließen, dürfen diese nicht steuer- und beitragsfrei bleiben. Die Steuerfreiheit gilt nur für tatsächlich geleistete Sonntags-, Feiertags- und Nachtarbeit.
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Wartezeit: Wann der Anspruch entsteht
Ein Anspruch auf Entgeltfortzahlung entsteht erst nach vier Wochen ununterbrochener Dauer des Arbeitsverhältnisses (§ 3 Abs. 3 EFZG). Per Tarifvertrag oder in einer Betriebsvereinbarung kann diese Wartezeit zugunsten des Arbeitnehmers verkürzt werden.
Hat der Arbeitnehmer seine Stelle angetreten, erkrankt dann aber noch vor Ablauf der vierwöchigen Wartefrist, bekommt er bis zum Ablauf der Wartezeit Krankengeld von seiner Krankenkasse.
Anders ist es, wenn der Arbeitnehmer seinen neuen Arbeitsplatz erst gar nicht antreten kann, weil er krank wird oder einen Unfall erleidet. Die Wartezeit beginnt in diesem Fall mit dem Tag der vereinbarten Arbeitsaufnahme. Damit gilt der Anspruch auf Entgeltfortzahlung erst ab der fünften Woche, vorausgesetzt, der Arbeitsvertrag war bereits vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit geschlossen worden.
Wann endet der Anspruch?
In den allermeisten Fällen endet der Anspruch auf Entgeltfortzahlung am letzten Beschäftigungstag, unabhängig davon, ob der Arbeitnehmer über diesen Tag hinaus noch krankgeschrieben ist oder nicht.
Es gibt jedoch zwei Ausnahmen von diesem Grundsatz (§ 8 EFZG):
- Bei Kündigung des Arbeitnehmers aufgrund der Arbeitsunfähigkeit
- im Fall einer – wirksamen und berechtigten – außerordentlichen Kündigung durch den Arbeitnehmer
Eine personenbedingte Kündigung aufgrund der Arbeitsunfähigkeit ist in der Praxis ohnehin oft kompliziert. Zudem ist Arbeitgeber in diesem Fall verpflichtet, bis zu sechs Wochen über das Ende des Arbeitsverhältnisses hinaus den Lohn fortzuzahlen.
Wann liegt eine Arbeitsunfähigkeit vor?
„Krank sein“ und „arbeitsunfähig sein“ bedeuten nicht immer automatisch und in jedem Fall das Gleiche. Beim näheren Hinsehen wird schnell deutlich, warum.
„Arbeitsunfähig erkrankt“ ist der Arbeitnehmer, wenn er aufgrund der gesundheitlichen Probleme seine Tätigkeit nicht mehr ausüben kann. Ob das der Fall ist, muss vom Arzt entschieden werden. Grundlage dafür ist die Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie, die vom Gemeinsamen Bundesausschuss erarbeitet wird (AU-RL).
Die ärztliche Entscheidung hängt von Art und Schwere der Erkrankung und dem Allgemeinzustand des Patienten, also vom Einzelfall ab. Ein wichtiges Kriterium sind außerdem Art und Anforderungen der beruflichen Tätigkeit. Die Verstauchung des kleinen Fingers ist in vielen Berufen nicht weiter hinderlich. Ein Violinist wird dadurch vorübergehend arbeitsunfähig.
Sogar dann, wenn der Arbeitnehmer sich fit fühlt, kann eine Arbeitsunfähigkeit vorliegen – dann zum Beispiel, wenn er seine Kollegen anstecken könnte oder die Erkrankung sich bei weiterer Arbeitsbelastung verschlimmern würde.
Arbeitsunfall?
Der Anspruch auf Lohnfortzahlung besteht auch dann, wenn der Arbeitnehmer durch einen Arbeitsunfall arbeitsunfähig ist. In diesem Fall ist es Aufgabe des Arbeitgebers, unverzüglich die zuständige Berufsgenossenschaft zu informieren, um den Anspruch auf Lohnfortzahlung sicherzustellen. Versäumt er die Meldung, muss er selbst den Lohnausgleich zahlen, für denn sonst die Berufsgenossenschaft einspringen würde.
Keine Lohnfortzahlung bei selbst verschuldeter Krankheit
Ein Anspruch auf Lohnfortzahlung besteht nur dann, wenn die Krankheit nicht selbst verschuldet worden ist. Eigenes Verschulden liegt vor, wenn der Arbeitnehmer die Sorgfaltspflichten außer Acht gelassen hat, die ein verständiger Mensch schon aus eigenem Interesse befolgt.
Ein Beispiel wären Verletzungen durch einen Autounfall, bei dem der Fahrer denn Sicherheitsgurt nicht angelegt hatte. Wenn er bei angelegtem Gurt diese Verletzungen vermieden hätte, hat er während seiner Genesung keinen Anspruch auf Lohnfortzahlung.
Oft ist es ein schmaler Grat, auf dem die Entscheidung zwischen „selbstverschuldet oder nicht?“ getroffen werden muss. Zwei weitere Beispiele:
- Besonders problematisch sind Fälle, in denen ein Drogen- oder Alkoholabhängiger nach der Entwöhnung eine lange Zeit abstinent war, dann aber wieder rückfällig und deshalb arbeitsunfähig krank wird. In solchen Fällen erkennen Sozialrichter häufig auf Selbstverschulden.
- Keine Zweifel am Selbstverschulden gibt es, wenn der Arbeitnehmer im Bierzelt eine Schlägerei anzettelt und dabei verletzt wird. Anders ist die Lage, wenn er sich nur zur Wehr gesetzt hat, um sich und andere zu schützen.
Lohnfortzahlung für Arbeitsunfall während einer Nebentätigkeit?
Grundsätzlich gelten für die Entgeltfortzahlung nach einem Arbeitsunfall im Nebenberuf dieselben Regeln wie für andere Arbeitsunfälle: Es kommt auf den Einzelfall an.
Kompliziert kann es werden, wenn der Arbeitnehmer einer Nebentätigkeit nachgeht, sich dort verletzt und deshalb seinen Hauptjob nicht ausüben kann. Hat er dann Anspruch auf Lohnfortzahlung gegen den Hauptarbeitgeber? Und gilt dies auch dann, wenn die Nebentätigkeit besonders gefährlich ist?
In einem vom Landesarbeitsgericht Hamm entschiedenen Fall (08.02.2006 – 18 Sa 1083/05) hatte ein Arbeitnehmer in seinem Nebenjob Bäume gefällt und war dabei Opfer eines schweren Unfalls geworden. Grundsätzlich führt eine solche besonders gefährliche und verletzungsträchtige Tätigkeit im Zweifel dazu, dass kein Entgeltfortzahlungsanspruch besteht. Im konkreten Fall bejahten die Richten den Anspruch dennoch, weil der Verletzte ausgebildeter Forstwirt mit langer Berufserfahrung war. Dass die Nebentätigkeit nicht genehmigt war, änderte daran nichts.
Erfahren Sie mehr zur Lohnabrechnung und Geschäftsführerhaftung.
Zweiter Teil: Praxisfragen
Im zweiten Teil unserer Ausführungen zur Lohnfortzahlung werden wir uns mit Aspekten befassen, die in der Praxis immer wieder Bedeutung bekommen, zum Beispiel Fragen zur Entgeltfortzahlung bei Reha-Aufenthalten oder zur Freistellung von Arbeitnehmern, wenn ein Kind erkrankt.
Stand: 25. Juli 2017
Kategorie
Steuern, Bescheinigungen und Rechtliches
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